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Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)

Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)

Titel: Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Birkhoff
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darauf bestanden hätte, beim Ausräumen der Wohnung anwesend sein zu wollen, war er auf der sicheren Seite. Hätte man irgendwo im Haus eine Zweitschrift gefunden, dann wären er und meine Mutter die Finder und Vernichter dieses Beweises gewesen.
    Ich war wieder einmal der Verlierer.
    Als wir Wochen später wieder auf den Jungferninseln waren, wachte ich nachts plötzlich auf. Ich war ziemlich verschlafen und merkte, wie Alfons mich an den Beinen streichelte, und seine sexuelle Erregung erfüllte die Atmosphäre. So plötzlich, wie ich aufgewacht war, so plötzlich öffneten sich die Tränenschleusen, und ich heulte wie ein Schlosshund. Ich war nicht mehr zu beruhigen und brauchte eine halbe Ewigkeit, bis ich begriffen hatte, was mit mir los war. Wir saßen mittlerweile auf der Terrasse, und Alfons war schon ganz verzweifelt.
    »Herzelein? Mein Gott, was ist denn los? So sag doch, was ich falsch gemacht habe! Bitte! Rede mit mir!«
    In dieser lauen Nacht in der Karibik erzählte ich Alfons, was zehn Jahre zuvor in der Nacht vom ersten auf den zweiten Weihnachtsfeiertag geschehen war. Ich erzählte ihm, wie Jürgen jahrelang jedes Wochenende nachts in das Leopardenzimmer geschlichen kam und welche panische Angst ich ausstand, dass irgendwann irgendjemand im Türrahmen hätte auftauchen können.
    »Das ist der Grund, warum ich nicht nach Waldstadt will und keinen Kontakt mehr zu meiner Mutter und Jürgen haben will, verstehst du das?«
    Alfons stand die Erschütterung ins Gesicht geschrieben.
    »Und ob ich das verstehe! Und jetzt komme ich mitten in der Nacht auf die Idee, mit dir zu schlafen. Kein Wunder, dass du so reagierst.«
    Alfons war Balsam für meine Seele. Ich bin mir absolut sicher: Hätte ich ihm damals erklärt, was sexuell in mir zerstört worden war, er hätte mir alle Lügen verziehen und vermutlich die besten Therapeuten Frankfurts mobilisiert, um mir zu helfen. Die Angst, meine mir Sicherheit gebende Rolle der Femme fatale aufzugeben, und die Angst, die Lüge der Schauspielerei im Bett zuzugeben, war zum damaligen Zeitpunkt noch viel, viel größer als die Angst, meine sexuelle Identität völlig zu verlieren. Ich hätte sagen müssen: »Alfons, alle Höhepunkte, die ich in den letzten drei Jahren angeblich mit dir hatte, waren eine einzige Lüge. Ich habe drei Jahre lang geschauspielert und weiß absolut nicht, was ein Orgasmus ist.« Drei JAHRE lang! Nicht drei Wochen oder drei Monate! Drei JAHRE! Das brachte ich nicht fertig. Zu dieser Kapitulation war ich damals noch nicht bereit. Ich war einfach dankbar, dass mir ein Mann zuhörte und dass mich ein Mann einfach liebte. Und dafür bezahlte ich weiter mit dem für mich gewohnten Preis.
    In den Jahren bei der Lufthansa hatten die unzähligen Krankheiten ihren Tribut gefordert. Immer wieder wurde ich von schweren Gallenkoliken geplagt, und oft genug fand mich Alfons vor Schmerzen gekrümmt mitten in der Nacht auf dem Wohnzimmerteppich liegen. Da ich nachts immer mit den Zähnen knirschte, standen die Zähne der unteren Reihe schief, und zudem war der Kiefer im Gelenk überlastet. Es schmerzte höllisch. Ständig biss ich mir die Wangen auf und musste oft operiert werden. Ein ganzes Jahr lang trug ich eine Zahnspange und ein Headgeer, ein Gerät, das auf dem Kopf verschnallt wird und den Oberkiefer zurückdrückt. Ich war in dieser Zeit attraktiv wie ein Marsmännchen, aber Alfons stand wie eine westfälische Eiche zu mir. Und als das überstanden war, legte Alfons zehntausend Mark auf den Tisch seines Zahnarztes und sorgte dafür, dass sämtliche Amalgamfüllungen aus meinen Zähnen verschwanden.
    Es war klar, dass ich mit einem Headgeer nicht würde weiter fliegen können. Ich wollte auch nicht mehr und hatte begriffen, dass der Beruf der Lufthansa-Stewardess kein anerkannter Ausbildungsberuf war. Vor den letzten Flügen hatte ich Heulkrämpfe und wusste gar nichts mehr mit mir anzufangen. Alfons überredete mich, eine Ausbildung zu machen. Das Geld, das ich damals vom Arbeitsamt für diese Umschulungsmaßnahme erhielt, durfte ich weiterhin zur freien Verfügung behalten. Ich hatte alle Zeit und alle Möglichkeiten, endlich einen Wunschberuf zu erlernen.
    Ich paukte wie blöd, und nach exakt neun Monaten absolvierte ich vor der Industrie- und Handelskammer meine Prüfungen zur staatlich geprüften und anerkannten Fremdsprachenkorrespondentin in Englisch und Französisch.
    Zum Ausbildungsbeginn hatte mir Alfons ein Pferd geschenkt. Kurz nachdem wir

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