Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
aufmerksam gemacht, das ein ehemaliger Schüler der Spanischen Hofreitschule zu Wien geschrieben hatte. Mit meinem neuen Pferd Kasper, einem vierjährigen Friesenhengst, war ich völlig überfordert. Ich hatte noch nie ein Pferd selbst ausgebildet und kam nicht weiter. Als ich das Buch gelesen hatte, war mir klar, dass ich unbedingt bei dem Verfasser, Richard Hinrichs, Unterricht haben wollte. Er wohnte in der Nähe von Hannover.
Im Gespräch mit Richard Hinrichs fragte er mich, was ich denn lernen wolle, und ich antwortete keck: »Alles, Herr Hinrichs. Alles.«
Jahre später erzählte er mir, dass es genau diese Antwort war, die ihn bewogen hatte, mich und das Pferd auszubilden. Er vertrat die Auffassung, dass man sich selbst in seinen Zielen nicht beschränken sollte, sonst käme man nicht weiter im Leben.
Kasper bezog seine neue Box in Niedersachsen. Da Alfons mehr und mehr in Ostdeutschland Fuß fasste, war unser neues Wochenend-Domizil Hannover geworden. Die auffallend ruhige Atmosphäre bei Richard Hinrichs beeindruckte mich zutiefst. Es herrschte gedämpftes Licht in der Reitbahn, und es wurde ebenfalls Wert auf gedämpfte Lautstärke gelegt. Die Pferde wurden konsequent in aller Ruhe an die Arbeit herangeführt und schienen vor Lerneifer und Wissbegier schier zu platzen. Bei Richard Hinrichs lernte ich gleich zu Beginn den Autor Gerhard Kapitzke kennen. Gerd hatte unzählige Bücher über Pferde geschrieben, und wir verstanden uns auf Anhieb. Stundenlang konnte ich mit Gerd über Gott und die Welt reden, und ich schätze seine Freundschaft bis heute.
Auch Alfons fühlte sich wohl in Hannover. Mit seiner hilfsbereiten, humorvollen und lebensfrohen Art war er prompt sehr beliebt bei den Leuten.
Monate später fand bei Richard Hinrichs ein Lehrgang mit General Albrecht statt, dem ehemaligen Leiter der Spanischen Hofreitschule. Es war eine Ehre, bei Albrecht Unterricht nehmen zu dürfen. Kasper war kein einfaches Pferd. Er war unglaublich »hengstig« und spielte seine Dominanz gnadenlos aus. Ich vergoss im Laufe der Jahre so manche Träne der Wut auf diesem Pferd. General Albrecht wohnte im gleichen Hotel wie Alfons und ich. Eines Abends trafen wir uns in der Hotelrestauration, und Albrecht riet mir, die Chance, täglich bei Richard Hinrichs zu reiten, wahrzunehmen. Schließlich sei ich örtlich ungebunden und könnte doch problemlos meinen Wohnsitz nach Hannover verlegen, erläuterte er seine Gedanken. »Später würden Sie es bitter bereuen, wenn Sie diese Gelegenheit nicht beim Schopfe packen würden«, prophezeite er.
Alfons fand die Idee großartig.
Ich bewarb mich in Hannover, und als ich eine Stelle gefunden hatte, begab ich mich auf Wohnungssuche. Bei einem alten ostpreußischen Ehepaar fand ich am Rande eines Naturschutzgebietes unweit der Lüneburger Heide eine gemütliche Dachgeschosswohnung zur Untermiete. Von diesem Tag an änderte sich mein Verhältnis zu Alfons. An die Stelle unserer Liebe trat meine Leidenschaft zur Reiterei. Ich war mittlerweile siebenundzwanzig Jahre alt und wurde im selben Jahr achtundzwanzig. Alfons war damals sechsundfünfzig, und ich empfand ihn mehr und mehr als alten Mann.
Ich möchte nicht undankbar sein. Aber ich war erwachsen geworden und hatte die Jahre mit ihm nutzen können, um in meinem Leben zur Ruhe zu kommen. Irgendetwas gärte in mir, aber ich konnte es nicht begreifen, nicht fassen. Ich war eine junge Frau, die sich ihrer Weiblichkeit nicht bewusst war, die ihre eigene Sexualität verleugnete und die immer noch auf der Flucht war. Gleichzeitig war ich getrieben von einer Suche, die ich nicht zu definieren vermochte. Es war die Suche nach mir selber, die Suche nach meinem inneren Frieden, die Suche nach meinen Wurzeln und ganz besonders die Suche nach meinen Leidenschaften.
Im Sommer trennten wir uns relativ unspektakulär am Telefon. Ich habe Alfons geliebt, so sehr, wie es mir damals zwischen zweiundzwanzig Jahren und fast achtundzwanzig Jahren überhaupt möglich war. Nach nunmehr fast dreizehn Jahren seit unserer Trennung könnte ich über Alfons nicht ein einziges schlechtes Wort schreiben. Wie sollte ich auch?
Alfons trat in mein Leben, als ich gleich einem waidwund geschossenen Reh im Dickicht umherirrte. Er war es, der meine Wunden pflegte, und er war es, der mir ein Zuhause gab. Ich hatte unglaublich großes Glück mit diesem Mann. Es war rührend, wie er sich um mich kümmerte, und ohne diesen festen Halt in meinem Leben wäre ich
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