Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
übernachten!«
»Ja, wo sollten wir denn sonst übernachten?«, fragte Alfons überrascht zurück. Er war als Baumaschinenhändler ständig unterwegs und gewohnt, in den teuersten Hotels der Welt einzuchecken.
Meine Mutter war telefonisch nicht zu erreichen, und so rief ich bei Jürgen an.
»Ich habe einen neuen Freund«, erklärte ich ihm, »und Alfons möchte euch gerne kennen lernen. Es ist ihm wichtig, dass ihr wisst, mit wem ich jetzt zusammenlebe.«
Jürgen schien in freundlicher Stimmung zu sein und befragte mich ausgiebigst: »Was macht der Herr denn beruflich? Wie alt ist er denn?«
Alfons hielt sein Ohr mit an die Hörermuschel und lächelte zufrieden. Na also! Geht doch!, schien seine Mimik auszudrücken. Die Farbe wich ihm aus dem Gesicht, als Jürgen fragte: »Und? Hat er auch ein ordentliches Geläut?«
Alfons nahm mir den Hörer ab und antwortete: »Guten Abend, Herr Karnasch! Alfons Holler mein Name. Hätten Sie die freundliche Güte, die letzte Frage noch einmal zu wiederholen?«
Das saß! Ich triumphierte innerlich! Damit hatte Jürgen am allerwenigsten gerechnet! Endlich mal ein Mann an meiner Seite, der es mit ihm aufnehmen konnte.
»Ach so, das hatten Sie nur spaßig gemeint? Ach so, nur ein blöder Spruch? Ja dann wollen wir mal hoffen, dass da nicht weitere Späße kommen, nicht wahr?« Alfons lachte demonstrativ und leicht überheblich.
»Was ist das denn für ein Idiot?«, fragte er mich danach entgeistert.
»Jürgen ist ein Arschloch«, antwortete ich und beließ es dabei. Noch immer konnte ich über meine Vergangenheit nicht sprechen. Ich hatte Angst, dass Alfons mich auf der Stelle verlassen würde.
Das erste Treffen mit meiner Mutter und Jürgen fand in einem Restaurant statt. Jürgen versuchte immer wieder, durch geschickte Kommentare möglichst unauffällig preiszugeben, dass er Unternehmer war und einen Haufen Kohle besaß. An Alfons prallten diese Versuche ab. Alfons hatte seinen Cadillac direkt neben Jürgens Jaguar auf dem Parkplatz abgestellt und war prinzipiell durch anderer Leute Reichtum nicht zu beeindrucken. Es war unübersehbar, dass Jürgen Alfons zum Kotzen fand, doch Alfons kümmerte sich keinen Deut darum. Er wickelte meine Mutter charmant um seinen Finger und scherzte gekonnt mit ihr, während Jürgen innerlich kochte. Ich blitzte Jürgen an, und in meiner Mimik war die empfundene Verachtung für ihn unverhohlen.
Als ich von der Toilette kam, stand Jürgen auf einmal vor mir. Weit im Hintergrund sah ich Alfons und meine Mutter lachen. Das Herz schlug mir bis zum Halse.
»Naaaa? Ich frage dich noch mal, Christine: Was für ein Geläut hat er, dein arroganter Baumaschinenhändler?« Jürgen stand eine Spur zu dicht vor mir.
Das Essen in meinem Magen meldete sich auf unerfreuliche Weise. Ich ärgerte mich maßlos, dass ich schon wieder die Fassung verlor und das Herzrasen kein Ende nehmen wollte!
»Es ist alles bestens, Jürgen«, fauchte ich ihn an.
»Er will dich ohnehin nur vögeln, der alte Sack!« Jürgen packte sich an den Schritt und verschwand in der Herrentoilette.
Er war ein Widerling, und ich hätte ausspucken können vor ihm. Ich zitterte am ganzen Körper und verfluchte mich für meine Feigheit.
»Deine Mutter ist ein bisschen aufgedreht und exaltiert, aber ganz nett, finde ich«, sagte Alfons nach dem Treffen. »Aber dieser Jürgen! Meine Güte! Was will denn deine Mutter bloß mit so einem Wicht?« Er schüttelte den Kopf. »Na ja, wir müssen ja nicht ständig bei ihnen auflaufen, aber ein Minimum an Kontakt sollten wir schon halten. Ist ja schließlich deine Mutter, und man kann sich die Familie nun mal nicht aussuchen.«
Alfons lud mich nach St. Thomas auf die Jungferninseln ein. Ein Freund von ihm hatte sich mit einer Kneipe selbstständig gemacht und lebte dort seit einigen Jahren mit seiner amerikanischen Ehefrau Barbara. Wir verbrachten einen wahrhaftigen Traumurlaub. In sexueller Hinsicht spielte Alfons seine Erfahrung aus, und sicherlich war er ein Liebhaber, bei dem Frauen auf ihre Kosten kamen. Ich war auf demselben Stand wie mit vierzehn Jahren und hatte keine Vorstellung, wie ich als Frau funktionierte. Wie immer mimte ich die schnell befriedigte und lustvolle Partnerin, und auch dieser Mann fiel auf mein Schauspiel herein. In meinem Innersten spürte ich, dass es so was wie Lust und Erregung gab, aber mit diesen Gefühlen konnte ich einfach nichts anfangen. Es war, als wartete ich auf ein Wunder. Ich wartete
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