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Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Titel: Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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viel, dass ich satt geworden bin, weißt du. Auf dem Ofen lag noch so ’n altes Maisbrot, und in der Kühltruhe hab ich ’n Hühnerbein gefunden. Hab ihnen einen Zettel geschrieben und mich bedankt, aber keinen Namen draufgeschrieben.«
    »Meine Güte, Richard!«
    »Zu Hause konnt ich einfach nicht mehr bleiben. Daddy hat gesagt, er bringt mich um.«
    »Das hat er doch bestimmt nicht ernst gemeint.«
    Richard lachte, aber es klang nicht besonders fröhlich. »Du hast es so gut, du verstehst das einfach nicht. Bis ich dich getroffen hab, hab ich nicht mal gewusst, dass es anders sein kann. Ich hab immer gedacht, so läuft das eben. Mit Prügel und so. Mütter mit blauen Augen und geschwollenen Lippen ... Stanley, glaubst du, du kannst mir was zu essen besorgen?«
    »Ich hol dir was.«
    »Vielleicht kannst du mir ein bisschen was einpacken, Brot oder so. Du hast doch die alte Feldflasche. Kann ich die nicht haben? Nachher werd ich versuchen, auf einen Güterzug aufzuspringen.«
    »Wo willst du denn hin?«
    »Dahin, wo mein Alter mich nicht finden kann. Ich hab’s gestern Abend schon versucht, aber der Zug war nicht langsam genug. Wahrscheinlich muss ich zur nächsten Stadt gehn. Da gibt’s einen Rangierbahnhof, glaub ich. Dann fahr ich irgendwohin, wo ich einen Job kriege. Zum Beispiel auf ’ner Farm. Arbeiten kann ich, und wenn sie diese kleinen Mexikanerkinder anheuern, warum dann nicht auch mich.«
    »Und was ist mit deiner Mutter?«
    »Der bin ich auch ganz egal. Ich hab gedacht, es wär anders, aber dann hab ich’s doch kapiert. Sie lässt es zu, dass er mich schlägt.«
    »Sie wird doch selbst von ihm geschlagen«, sagte ich.
    »Ich weiß. Aber ...«
    »Was?«
    »Sie scheint es irgendwie zu mögen.«
    »Die Schläge?«
    »Jepp. Deswegen ist es überhaupt erst zu dem Streit gekommen.«
    »Ich dachte, es ging um die Bücher und die Schule.«
    »Das hat ihm dann endgültig den Rest gegeben, aber eigentlich fing’s damit an, dass ich am Tag davor dazugekommen bin, wie er sie verprügelt hat, und ich wollte dazwischengehn. Er ist mit den Fäusten auf mich los, und meine Mama hat gesagt, ich soll mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern. Und dass es so zwischen ihnen normal wär.«
    »Das hat sie gesagt?«
    »Ja.«
    »Vielleicht hat sie nur versucht, dir zu helfen und dich aus der Sache rauszuhalten.«
    »Das hab ich auch zuerst gedacht, aber so, wie sie dabei geguckt hat ... sie hat ausgesehn, als würd es ihr Spaß machen. So was macht doch niemand Spaß, oder?«
    »Eigentlich nicht.«
    »Ich war so dumm, Stanley. Ihretwegen bin ich zu Hause geblieben, dabei will sie mich gar nicht haben.« Richard fing an zu heulen. »Ich bin so müde.«
    »Komm schon, Richard, du musst nicht hier draußen hocken.«
    »Ich will nicht, dass deine Eltern das alles erfahren. Ich will es niemand erzählen.«
    »Ist schon gut, Richard. Na los. Wir bitten Rosy, dir ein ordentliches Frühstück zu machen. Du weißt ja, wie gut sie kochen kann.«
    Ich streckte ihm die Hand hin und zog ihn hoch. Dann schniefte er noch ein paar Mal und hörte auf zu weinen, und wir gingen zusammen zum Haus. Richard ließ den Kopf hängen und hob seine armen geschundenen Füße keinen Millimeter höher als unbedingt notwendig.
     
    Als wir durch die Hintertür hereinkamen, fiel Rosys Blick zuerst auf Richard, dann auf mich. »Er braucht was zu essen, Rosy«, sagte ich.
    »Na, das kriegen wir schon hin«, sagte sie und fing an mit den Töpfen zu klappern. Kurz darauf kam Mom in die Küche. Sie hatte lange geschlafen und trug immer noch ihren Morgenmantel, und die Haare hingen ihr über die Augen.
    »Du machst einen Lärm, als wolltest du das Haus einreißen, Rosy ... oh, hallo, Richard.«
    »Hallo, Mrs Mitchel.«
    »Du siehst ja furchtbar aus, mein Junge. Was hast du denn gemacht?«
    Richard legte den Kopf auf den Tisch und fing wieder an zu weinen. Mom zog einen Stuhl zu ihm heran und legte den Arm um ihn. »Tut mir leid. Ich wollte dich nicht kränken.«
    »Das ist es nicht«, sagte ich.
    »Was ist es dann?«, fragte Mom.
    »Jetzt lassen Sie ihn erst mal essen, Miss Gal«, sagte Rosy. »Damit der Junge zu Kräften kommt.«
    Also machte Rosy Frühstück, und Richard aß. Als er fertig war, stellte Mom ihm keinerlei Fragen, sondern zeigte ihm, wo das Badezimmer war, und ich ging hoch und holte ein paar von meinen Kleidern für ihn.
    Nachdem Richard gebadet hatte, zog er sich an, nur die Füße blieben nackt. Dann kam er zurück in die Küche, wo

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