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Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Titel: Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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von Daddy gehört.
    Daddy hatte gesagt, dass er die Biester mit einem Besen hinausscheuchen und übers Grundstück jagen musste, bis sie über den Zaun kletterten und wieder im Wald verschwanden.
    Ich hatte das bisher noch nicht erlebt, und ich war schon ganz aufgeregt, dass ich endlich auch mal so eine Entdeckung machen würde. Ein bisschen Angst hatte ich auch. Waschbären und Opossums können ziemlich angriffslustig werden, wenn sie sich bedroht fühlen.
    Ich nahm den spitzen Stock, mit dem wir immer den Müll aufsammelten, und ging über den Hof. Die Tür war geschlossen. Weder Waschbären noch Opossums machten die Tür hinter sich zu.
    Buster?
    Wenn es Buster gewesen wäre, dann hätte Nub nicht gebellt.
    Trotzdem rief ich seinen Namen.
    Er antwortete nicht.
    »Nub«, sagte ich, »bist du dir sicher?«
    Nub scharrte vor der Tür in der Erde und knurrte. »Wer auch immer da drin ist, ich hab ein Gewehr«, rief ich. »Also bloß keine Dummheiten.« Langsam machte ich ein paar Schritte rückwärts, um Daddy zu holen.
    Da hörte ich eine Stimme von drinnen. »Schon gut, Stanley. Ich bin’s. Nicht schießen.«
    »Richard?«
    »Ja. Bitte hol nicht deine Eltern.«
    Die Tür ging einen Spalt auf, und Richard streckte den Kopf heraus. Auf einer Wange klebte ihm eine Dreckkruste.
    »Hey«, sagte er.
    »Hey«, antwortete ich.
    »Du hast ja gar kein Gewehr.«
    »Nein«, sagte ich. »Was machst du denn da drin?«
    »Ich bin über den Zaun geklettert, nachdem ihr gestern zugemacht habt. Hab hier drin übernachtet.«
    »Mach mal Platz. Ich komm rein.«
    Drinnen sagte Richard: »Ich hab auf dem Fußboden geschlafen, auf diesem kleinen Teppich. War gar nicht mal so übel. Der beste Schlafplatz seit ’ner Woche.«
    Er trug eine Latzhose, ein Hemd hatte er nicht an. Die Hose sah aus, als hätte er sie durch eine Schlammlache gezogen und in einem Sumpf ausgewaschen. Sein Gesicht war von Moskitos zerstochen, auf der Oberlippe hatte sich Dreck angesammelt, sodass es aussah, als hätte er ein Hitlerbärtchen. Eines seiner Hosenbeine hatte ein Loch, und das Knie, das durch das Loch hinauslugte, war völlig verschorft. Er trug keine Schuhe. An seinen Sohlen hing festgebackener roter Lehm; die Füße und Knöchel, die aus der zu kurzen Hose herausragten, waren von Schrammen überzogen.
    »Dein Daddy hat nach dir gesucht«, sagte ich.
    »Ich weiß.«
    »Er und mein Daddy hatten sich in der Wolle. So richtig.«
    »Wann war das?«
    Ich erzählte ihm, was passiert war, und sagte, dass es mir leidtat.
    »Muss es nicht. Da war ich schon nicht mehr zu Hause. Das war wahrscheinlich am Morgen nach der Nacht, in der ich weggelaufen bin. Er hat nach mir gesucht, weil er mit mir noch nicht fertig war. Hat mich mitten in der Nacht hochgescheucht, und wenn ich nicht in der Latzhose geschlafen hätte, hätte ich jetzt gar nichts an.«
    Richard drehte sich um. Sein Rücken, nackt bis auf die Latzhosenträger, war von langen, schorfigen roten Striemen überzogen. »Er hat mir ein paar ordentliche Hiebe verpasst, aber dann hat’s mir gereicht. Also bin ich abgehauen.«
    Neben den roten Striemen entdeckte ich weiße Narben. Ich hatte gewusst, dass sein Vater ihn für meine Begriffe zu hart rannahm, aber erst jetzt wurde mir klar, wie hart er ihn tatsächlich schlug.
    »Großer Gott«, sagte ich.
    »Er hat eine Peitsche genommen. Der Gürtel ist ja schon schlimm, aber als ich weggerannt bin, hat er die Peitsche aufgehoben und mich draußen auf dem Hof erwischt. Wenn es nicht dunkel gewesen wär, dann weiß ich nicht, ob ich ihm entkommen wär. Er hat mich kilometerweit durch den Mais gejagt, und dann durch den Wald. Hat geschrien, dass er mich umbringt, wenn er mich zu fassen kriegt.«
    »Worum ging es denn überhaupt?«
    »Comics. Er hat gesagt, die ganze Leserei wär mir zu Kopf gestiegen und ich würd glauben, dass ich was Besseres wär als er, und das kann er nicht zulassen.«
    »Das war der Grund?«
    »Ja, irgendwie schon. Dann kam eins zum andern. Ich hab ihm gesagt, dass ich die Schule wohl besser zu Ende mache. Er will aber, dass ich abgehe. Hat gesagt, da würde keiner was dagegen unternehmen. Nicht hier bei uns. So was wär den Behörden egal.«
    Richard sank auf den kleinen Teppich. Ich setzte mich auf den Stuhl neben dem Projektor. »Und wo warst du die ganze Zeit?«
    »Hier und da. Draußen im Wald. Hab mich in der Scheune von so ’nem Nigger versteckt, außerhalb der Stadt. Hab ein bisschen Essen in ’nem Haus geklaut. Aber bloß grade so

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