Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss
schüttelte traurig den Kopf und schnalzte mit der Zunge.
»Je älter ich werde, Stan, desto öfter wünsche ich mir, ich hätt eine Familie – und hätt’s mir nicht mit der einen verdorben, die ich hatte. Das Saufen war nicht gut für mich. Weißt du, ich hab mir nix mehr hinter die Binde gekippt, seit ... seit dem Tag mit dir und Bubba Joe.«
»Geht es Ihnen jetzt besser?«
»Mir geht’s beschissen. Die ganze Zeit denk ich ans Trinken. Mindestens einmal jeden Tag steh ich kurz davor, mir wieder ein Gläschen einzuschenken. Eigentlich sogar eher jede Stunde. Nicht grade leicht. Am schlimmsten ist, dass ich mich langsam so richtig alt fühle.«
Buster zog ein zusammengefaltetes gelbes Blatt Papier aus der Brusttasche. Er gab es mir, und ich faltete es auf. Es war der Bericht des Polizeichefs über Susan Stilwind und ihren Vater.
»Warum geben Sie mir das, Buster?«
»Wenn der alte Stilwind euch Ärger macht, könnt ihr das vielleicht gut gebrauchen. Betrachte es als eine Art Versicherung. Mach dir eine Kopie davon und zeig sie dem Alten. Sag ihm, das Original ist gut versteckt, und du hast noch eine zweite Abschrift bei einem Freund deponiert. Dieser Freund wär dann ich. Hier ist seine Adresse. Hat Jukes mir besorgt.«
»Gibt es irgendwas, was Jukes nicht herausfinden kann?«
»Mein genaues Alter, mehr aber auch nicht. Jedenfalls sollten eure Probleme mit dem alten Stilwind dann ein für alle Mal vorbei sein.«
Als ich am nächsten Morgen erwachte, lag Richard in meinem Zimmer auf dem Fußboden, hatte sich in eine Decke gerollt und umklammerte sein Kopfkissen. Nub hatte sich auf Richards Seite des Bettes breitgemacht. Er lag auf dem Rücken, streckte alle viere in die Luft, und die Zunge hing ihm aus dem Maul.
Ich stand auf, suchte mir ein paar Kleidungsstücke zusammen, ging ins Badezimmer, putzte mir die Zähne, kämmte mir die Haare und zog mich an. Als ich ins Zimmer zurückkam, hatte Richard sich aufgesetzt und schaute orientierungslos um sich.
»Teilst dir wohl nicht gern das Bett?«, fragte ich.
»Nub hat die ganze Zeit an mir geleckt.«
Ich holte das Blatt Papier, das Buster mir gegeben hatte, aus meiner Sockenschublade hervor, nahm mir einen Stift und einen Block und schrieb den Polizeibericht Wort für Wort ab. Dann versteckte ich das Original wieder in der Sockenschublade.
»Ich muss heute in die Stadt«, sagte ich, während ich die Abschrift zusammenfaltete und in meine Hosentasche schob. »Ich geh los, bevor Daddy oder Mom nach mir fragen. Aber ich bin so bald wie möglich wieder da.«
»Ich komme mit – wenn du nichts dagegen hast?«
»Eigentlich nicht ... Hör mal, vielleicht sollte ich dir das nicht erzählen, aber wenn du mitkommst, musst du Bescheid wissen. Ich brauche sowieso noch jemanden, der eingeweiht ist, sozusagen als Sicherheit.«
Ich holte noch einmal das zusammengefaltete Papier von Buster aus der Schublade und gab es Richard zu lesen.
Als er fertig war, sagte er: »Kapier ich nicht.«
Ich erklärte es ihm. Ich erzählte ihm sogar ziemlich viel. Eins muss ich zugeben, ich bin ein richtiges Plappermaul. Aber von Buster und Bubba Joe sagte ich kein Wort. Ich erwähnte nicht einmal die Nacht, in der wir damals zusammen verfolgt worden waren.
»Also willst du ihm das Papier hier geben, wie Buster dir geraten hat?«
»Ich gebe ihm eine Kopie davon. Den Zettel, den ich vorhin geschrieben hab.«
Ich nahm Richard den Bericht aus den Händen, faltete ihn zusammen und steckte ihn zurück in die Sockenschublade.
»Na dann, lass uns loslegen.«
»Zuerst gehst du dir das Gesicht waschen, die Zähne putzen und die Haare kämmen. Ich geb dir eine Zahnbürste und einen Kamm. Alles andere ist unten im Badezimmer.«
Wie jeden Samstag wimmelte die Stadt auch heute nur so von Menschen. Da Richard kein Fahrrad hatte, gingen wir zu Fuß. Als wir am Kino vorbeikamen, beschleunigte ich meine Schritte und versuchte, nicht durch die Glastür zu spähen und nach James Ausschau zu halten, aber ich konnte einfach nicht anders.
Er war nirgendwo zu entdecken.
Wir gingen zu dem Hotel, in dem Mr Stilwind wohnte. Im Foyer sahen wir uns um und fragten uns, was wir als Nächstes tun sollten. Ein junger Mann hinter einem Empfangstresen lächelte und winkte uns zu sich herüber. Er trug einen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd, und seine Haare waren glatt nach hinten gegelt. So wie er aussah, hätte er Callie vielleicht gefallen.
»Kann ich euch helfen, Jungs?«, fragte er.
»Ich
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