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Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Titel: Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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hoch, und zwischen den Gräbern wuchsen Schösslinge aus Eicheln, die der Wind oder ein unaufmerksames Eichhörnchen verstreut hatte.
    »Nicht so schick wie der Weißenfriedhof, oder?«
    »Sir?«
    »Der Farbigenfriedhof. Wo die Farbigen begraben liegen, Junge. Sieht lange nicht so ordentlich aus wie der Weißenfriedhof für die Dixies, stimmt’s?«
    »Nein, Sir.«
    »Wir pflegen ihn nicht. Irgend ’ne Idee, woran das liegt?«
    »Nein, Sir.«
    »Jedes Jahr zu Halloween kommen die weißen Jungs, werfen die Steine um und zerbrechen sie. Besser, wir lassen alles so. Wenn wir die Steine wieder aufstellen oder das Gras mähen, lockt das bloß wieder diese Idioten an. Für die ist das der größte Spaß – und eine Mutprobe noch dazu –, den Grabstein von einem Farbigen umzustoßen, in den Fluss zu schmeißen oder kaputtzuschlagen. Das sind Feiglinge, Junge. Ich sag dir auch, warum. Die wissen ganz genau, dass kein Farbiger ihnen je ein Haar krümmt, weil der dann die Kluxer oder so am Hals hätte. Nicht besonders mutig, oder?«
    »Nein, Sir. Wohl kaum.«
    »Ist es nicht. Das versuch ich dir hier beizubringen. Hör gut zu. Hier lernst du was fürs Leben.«
    Auf der Straße begegneten uns immer seltener weiße Gesichter, stattdessen zunehmend farbige. Die Autos, die an der Bordsteinkante und neben den Hütten parkten, wurden älter, die Häuser hässlicher, und einige von ihnen waren kleiner als unser Wohnzimmer im Autokino. Farbe blätterte von den Wänden, Verandabretter hingen lose herab, Dachschindeln und Fensterscheiben fehlten. Manche Mauern standen schief, als bräuchten sie dringend eine Verschnaufpause. Plumpsklos zierten die Hinterhöfe, und zu den wenigsten führte eine Stromleitung.
    Auf den Stufen und Veranden saßen Männer jeden Alters, teilweise tief versunken in Polstersessel, aus denen Wollknödel hervorquollen wie schlaffe Atompilze. Sie trugen abgewetzte Kleidung und Schlapphüte, als wäre das eine Art Uniform, und ihre Mienen wirkten, als hätten sie eine Tracht Prügel kassiert und rechneten schon mit der nächsten.
    Als wir an ihnen vorbeigingen, rief einer der Männer: »Ist der dir zugelaufen, Buster?«
    »Ganz genau so war’s«, rief Buster zurück.
    »Willst du ihn behalten?«
    »Hab kein Weib, das es mir verbieten könnt.«
    »Hab gehört, diese kleinen weißen Jungs sind schwer zu dressieren.«
    »Ach was«, sagte Buster. »Nicht, wenn man sie mit ’ner guten Angelrute und ’ner alten Zeitung ordentlich vertrimmt.«
    »Womit willst du den Kleinen denn füttern?«
    »Hab ich alles hier im Pappkarton. Innereien vom Schlachter. Und ’nen Schweinskopf.«
    »Verflucht, den Schweinskopf will ich haben«, rief einer der Männer dazwischen. »Murks ihn doch ab, Buster, und gib mir seinen Drahtesel!«
    »Der würd unter deinem fetten Arsch bloß zusammenkrachen«, antwortete Buster.
    Gelächter ertönte und klang wieder ab, je weiter wir uns entfernten.
    Ich wurde, gelinde gesagt, ein wenig nervös. Was machte ich überhaupt hier im Viertel? Hatte ich den Verstand verloren?
     
    Wir bogen in eine Seitenstraße ab und kamen an ein paar spielenden Kindern vorbei. Eins von ihnen war ein kleiner Junge, dessen Rotznase lief. Staub klebte an der Rotze, sodass breite Dreckspuren zu seiner Oberlippe führten. Er beäugte uns, als würde er gleich nach unseren Ausweisen verlangen.
    An den Bahnschienen stand ein kleines Haus, das in demselben Giftgrün gestrichen war wie der Zaun unseres Autokinos.
    Ich machte Buster darauf aufmerksam. Er antwortete: »Kein Wunder. Hab mir ein bisschen von der Farbe abgezweigt. Nicht grade hübsch, aber so blättert wenigstens nix ab, und besser als das olle Grau ist es allemal.«
    Breite Steinstufen führten zur Veranda hinauf. Es war ein einfaches Haus, aber es sah sauber und gepflegt aus. Das Fliegengitter vor der Tür war neu, die Fenster geputzt und die Läden zur Seite geschlagen. Auf der Veranda stand ein metallener Gartenstuhl. Auch er hatte dieses hässliche Grün verpasst bekommen.
    Hinter dem Haus, zwischen Bahngleisen und Gebäude, ragte über alldem eine alte Werbetafel auf, die wahrscheinlich schon seit dem Zweiten Weltkrieg dort stand. Sie zeigte eine fröhliche junge Frau mit einer Cola in der Hand und einem debilen Grinsen auf den Lippen.Ein Riss führte vom Plakatrand zu einem ihrer Mundwinkel. Wind und Regen hatten sich in dem Riss verfangen und ihr Grinsen noch verbreitert. Auf der Oberkante der Tafel hockten Krähen, und genau über dem Kopf der jungen

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