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Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Titel: Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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Besseres fiel mir nicht ein. Dass ich Buster besucht hatte und er sturzbetrunken gewesen war, dass Bubba Joe versucht hatte mich umzubringen und Buster ihm die Kehle aufgeschlitzt hatte – das schien mir im Augenblick keine hilfreiche Erklärung zu sein. Außerdem wollte ich all dies ohnehin niemandem erzählen. Niemals.
    »Wir hätten dich überhaupt nicht gehen lassen sollen, als sich dieses Unwetter zusammengebraut hat«, sagte Mom. »Ich ärgere mich immer wieder über mich selbst, dass ich meinen gesunden Menschenverstand ignoriere, nur dir zuliebe.«
    »Wahrscheinlich ist es sinnlos, das Autokino heute Abend zu öffnen«, sagte Dad, der in der Haustür stand und hinausschaute. »Der Regen setzt bestimmt bald wieder ein, das sagt mir mein Gefühl.«
    Mom schob mich durch die Küche ins Elternbadezimmer, holte ein großes Handtuch aus dem Schrank und gab es mir. Meine Haut fühlte sich immer noch klamm an, genau wie meine Kleider, aber verglichen damit, wie durchweicht ich gewesen war, empfand ich das eigentlich als ganz angenehm.
    »Geh hoch und zieh dir was Trockenes an«, sagte Mom. »Wenn du wieder runterkommst, mache ich dir einen heißen Kakao ... Sag mal, blutet Nub etwa?«
    Sie hatte eine Blutschliere erspäht, die in seinem Fell klebte, und beugte sich zu ihm hinunter, um ihn zu untersuchen.
    »Kann sein«, antwortete ich. »Zwischendurch ist er irgendwie abgehauen. Wahrscheinlich ist er in einen Kampf geraten.«
    Immer mehr verstrickte ich mich in meinem Netz aus Lügen.
    Daddy kam in die Küche, beugte sich über Nub und besah sich die Wunde. »Sieht aus wie ein Messerstich. Muss sich wohl mit einer Katze angelegt haben. Ich desinfiziere das mit Alkohol.«
    »Das wird ihm nicht gefallen«, sagte ich.
    »Er wird’s gar nicht merken.«
    Nach Nubs Reaktion auf die Behandlung durch Buster wusste ich es besser.
    Oben zog ich mir trockene Sachen an und kämmte mir vor dem Spiegel die Haare. Ich betrachtete mein Gesicht und fand, dass es irgendwie anders aussah. Älter. Verängstigt. Vielleicht auch verwirrt.
    Ich setzte mich einen Augenblick und konzentrierte mich aufs Atmen. Versuchte, all meine Stärke und meinen Mut zu sammeln. Ich hatte das Gefühl, als hätte jemand meinem Innersten etwas Lebendiges entrissen, es verschleppt und misshandelt, und als ich es nun wiederbekommen hatte, fehlten ihm alle Beine.
    Unten stellte ich fest, dass Nub trockengerubbelt und verarztet worden war. Er lag auf einem dicken Handtuch, das Mom für ihn auf dem Boden ausgebreitet hatte.
    »Wie hat ihm das mit dem Alkohol gefallen?«, fragte ich.
    »Du hast recht gehabt«, antwortete Daddy. »Das hat ihm gar nicht gefallen.«
    Ich trank meinen Kakao, während Mom wie eine Glucke an meiner Seite blieb.
    Callie hatte fast die ganze Zeit geschwiegen. Sie saß am anderen Ende des Tisches, trank auch einen Becher Kakao und bedachte mich mit diesem sengend heißen Blick.
    Schließlich waren alle außer mir ins Wohnzimmer gegangen. Sie wollten fernsehen, aber der Sturm hatte wieder eingesetzt und wütete so sehr, dass sie es aufgaben. Wir hatten sowieso lediglich drei Kanäle, von denen wir einen nur reinkriegten, wenn jemand vorsichtig an der Außenantenne drehte. Viel mehr als Rauschen und Ameisenkrieg auf dem Bildschirm konnten sie also nicht erwarten.
    Ich saß in der Küche und schlürfte meinen Kakao. Irgendwann kam Rosy Mae vom Wohnzimmer herüber, um das Abendessen vorzubereiten, und sagte: »Du siehst aus, als wärst du ’nem Gespenst übern Weg gelaufen, Mister Stanley.«
    »Einfach nur Stanley, weißt du nicht mehr?«
    »Du hast doch nich etwa mit irgendwem Ärger gehabt, oder, Stanley?«
    Ich schüttelte den Kopf. Rosy Mae bohrte nicht weiter nach. Sie nahm sich eine Tasse, ging zum Herd, goss sich die restliche warme Milch aus dem Topf in die Tasse und rührte einen Löffel Kakao unter.
    »Es geht besser, wenn du zuerst den Kakao in die Tasse schüttest«, sagte ich.
    »Das hab ich nich gewusst, dabei bin ich hier doch die Köchin. Aber Kakao trink ich auch nich so oft.«
    Sie setzte sich an den Tisch und musterte mich. »Geht’s dir wirklich gut? Ich hab eine von den Sherlock-Holmes-Geschichten aus dem Buch gelesen. Der is aber klug!«
    »Ja, das ist er.«
    Dad kam in die Küche, öffnete den Kühlschrank, nahm eine Kanne Tee heraus und schenkte sich ein großes geblümtes Glas ein. Er gab Zucker hinein, setzte sich an den Tisch und rührte mit einem Löffel in seinem Tee. Dann sagte er: »Wenn das Wetter so

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