Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss
in einem so großen, eleganten Auto gesessen. Die Sitze waren mit weichem Leder bezogen und luden förmlich dazu ein, sich hinzulegen und ein Nickerchen zu halten.
»Wir fahren raus zum See«, sagte Callie.
»Du musst nicht mitkommen, wenn du nicht willst«, fügte Drew hinzu. »Ich kann dich auch eine Runde um den Block chauffieren und dann wieder hier rauslassen.«
»Eine Runde um den Block reicht nicht, um das Fahrgefühl zu kriegen«, sagte Callie. »Komm schon, Stanley.«
»Ich weiß nicht, wie lange wir da bleiben«, warnte mich Drew. »Könnte spät werden.«
»Kein Problem«, sagte ich.
»Es wird ziemlich heiß«, gab er zu bedenken.
»Ach was, es weht doch so ein schöner Wind«, sagte Callie. »Und am See wird es erst richtig angenehm.«
»Mag sein«, sagte Drew, aber er sah nicht sehr glücklich aus. Er beugte sich über die Rücklehne und schaute mich fast flehentlich an. »Bist du sicher, dass du mitkommen willst?«
»Na klar«, sagte ich.
»Also gut«, seufzte er und fuhr los.
Beim See wurde der Wald immer lichter, weil die Planierraupen, die den See ausgehoben hatten, auch die Bäume umgefahren hatten. Ihre Baggerspuren zogen sich durch den roten Lehm, der am schrägen Ufer ins Wasser bröckelte. Am ganzen See gab es nirgendwo Sand, nur Lehm. Ich machte eine Bemerkung dazu.
»Der Sand muss erst noch hergebracht werden«, sagte Drew, als wir aus dem Auto stiegen.
»Es wäre viel schöner gewesen«, fand Callie, »wenn sie einfach mehr Bäume hätten stehen lassen. Dann würde vielleicht auch nicht das Ufer in den See rutschen.«
»Die Firma, die den See angelegt hat, gehört meinem Vater«, sagte Drew.
»Er hätte trotzdem mehr Bäume übrig lassen können«, wiederholte Callie. Nichts konnte sie in ihren Ansichten erschüttern, hatte sie sich einmal darauf versteift.
Doch Drew machte sich nicht viel daraus. Während sie nebeneinander herliefen, hielt er ihre Hand. Er schien mit den Füßen kaum noch den Boden zu berühren.
Damals kam mir das schrecklich kitschig vor, und es behagte mir gar nicht, wie Callie seine Hand hielt und ihn bezirzte und Drew neben ihr hertaumelte. Kaum zu glauben, dass der Kerl es mit einem Football übers Feld schaffte. Eine Zeit lang wehte ein kühler Wind, und wir gingen spazieren und unterhielten uns. Niemand sprach über Mord oder Huren oder Mädchen, die Mädchen mochten, oder über enthauptete Leichen an Bahngleisen.
Wir gingen ein Stück am Ufer entlang, allerdings war der Boden zu matschig, um richtig an den See heranzukommen; obwohl es kräftig geregnet hatte, war der Wasserstand durch die Hitze schon wieder um einiges gesunken. In der Mitte des Sees konnte man mehrere kleine Inseln erkennen, vielleicht vierzig oder fünfzig Meter voneinander entfernt, und die Pflanzen darauf waren vollständig abgestorben, sodass die Inseln jetzt nur noch Matschhaufen waren. In der Luft lag der Gestank von totem Fisch – und noch ein anderer Geruch, der Gänsehaut verursachte, ein Geruch wie von Wassermokassinschlangen, die in einem schlammigen, stinkenden Fluss gelegen hatten, dessen Wasser umgekippt und brackig geworden war.
Nach einer guten Stunde kehrten wir um. Der Wind hatte sich gelegt, und inzwischen herrschte eine Backofenhitze. Wir setzten uns auf einen Holzstumpf in der Nähe des Autos und kratzten mit kleinen Zweigen den Schlamm von unseren Schuhen.
»Daddy hat gesagt, dass sie noch Tische und Bänke aufstellen und Grillplätze und Bootsanleger bauen wollen. Vielleicht pflanzen sie auch noch ein paar Bäume.«
»So wie die, die vorher hier standen?«, fragte Callie.
»Schnellwüchsige Bäume. Und dann soll es auch einen Bereich für Farbige geben. Am anderen Ufer.«
»Wie praktisch.«
»Ich hab nichts gegen Farbige«, sagte Drew. »Wirklich nicht.« Er klang, als meinte er es aufrichtig. »Was haltet ihr davon, wenn wir zurück in die Stadt fahren und uns einen Burger und eine Limo holen?«
Zu dem Zeitpunkt bekam ich tatsächlich wieder Hunger. So sind Kinder nun mal. Gefräßig wie ein Fass ohne Boden.
»Callie, hast du Geld dabei?«, fragte ich.
»Ich lade euch ein«, sagte Drew.
»Mich kannst du einladen«, antwortete Callie, »aber für Stanley zahle ich. Für ihn bist du nicht zuständig. Schließlich gehst du nicht mit uns beiden aus.«
»Na ja«, sagte Drew, »auch wieder wahr. Aber es würde mir nichts ausmachen.«
»Das ist lieb von dir«, sagte Callie mit Honig in der Stimme – so klang sie immer, wenn sie etwas von Daddy
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