Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss
leid.«
»Muss es nich, Mister Stanley. Er war kein guter Mann. Er hat’s verdient gehabt. Weiß auch nich, warum ich so traurig bin.«
»Schade, dass ihr euch nicht besser verstanden habt. Dass er kein besserer Mann war.«
»Find ich auch, Mister Stanley.«
»Nur Stanley reicht«, sagte ich.
»Weißt du, was dein Daddy mir gesagt hat?«
»Nein.«
»Er hat gesagt, jetzt wo Bubba Joe weg is, kann ich auch genauso gut hierbleiben. Ich muss nich weggehn. Er richtet den Dachboden für mich her und besorgt mir ’n Ventilator, und dann schneidet er ’n Fenster aus der Wand, genau über den Cowboys und den Indianern.«
»Das ist toll, Rosy.«
»Er hat gesagt, ich kann bleiben und weiter bei euch arbeiten, und er gibt mir ’n festes Gehalt, und ich kann am Wochenende freihaben, wenn ich will. Es war nich Miss Gal, die das gesagt hat, und sie hat ihn auch nich dazu überredet. Er hat’s von sich aus vorgeschlagen, und dann hat er mir noch auf den Rücken geklopft.«
Tränen stiegen mir in die Augen. Ich wandte den Blick ab und schaute zum Vorführhäuschen hinüber.
Rosy streckte den Arm aus und griff nach meiner Hand. Ich drückte sanft zu. Sie ließ den Kopf hängen und weinte noch heftiger als zuvor. Ich schob meinen Stuhl näher an ihren, und sie lehnte sich weinend an meine Schulter. So blieben wir sitzen, bis ihre Tränen versiegt waren.
Am Montag, als es schon fast dunkel war, liefen ich und Nub los, um Buster zu begrüßen, der gerade zur Arbeit kam. Im Vorführhäuschen erzählte ich ihm, dass Bubba Joe gefunden worden war.
»Weiß ich schon«, sagte Buster. »Hab’s zwitschern hören. In dieser Stadt fällt kein Mehlsack um, und erst recht nicht im Viertel, ohne dass die Vögelchen auf der Veranda bei mir gegenüber es mitkriegen. Sie schnappen die Neuigkeiten so schnell auf, als kämen sie durchs Telefon ... na ja, früher oder später musste es ja passieren ... du hast doch nix ausgeplaudert, oder?«
»Nein, Sir. Natürlich nicht.«
Wir zeigten einen neuen Film, Die Fliege mit Vincent Price. Noch vor einem Jahr hätte diese Horrorgeschichte mich in Angst und Schrecken versetzt, und die Stelle, an der die Fliege mit dem kleinen Menschenkopf um Hilfe schreit, hätte mir Albträume bereitet.
Aber jetzt nicht mehr. Nicht, nachdem ich das Geisterlicht gesehen hatte, nachts von Bubba Joe verfolgt worden war, beinahe von einem Zug überfahren worden wäre und dann zugeschaut hatte, wie Buster Bubba Joe die Kehle aufgeschlitzt und ihn in den Bach geworfen hatte.
An diesem Abend schenkte ich dem Film keine Beachtung. Buster und ich saßen im Vorführhäuschen, hatten die kleine Lampe eingeschaltet und beugten uns über den schmalen Tisch, auf dem eine Reihe Zeitungsausschnitte und ein Aktenordner ausgebreitet waren.
»Ja, ich weiß, dass du nix verraten wirst, Stan. Nicht dass ich es bereue, dass ich ihn umgebracht hab, wenn du’s genau wissen willst. Kostet mich kein bisschen Schlaf. Er hat’s nicht anders verdient. Aber auf die Bullerei kann ich gut verzichten.«
»Sind Sie sicher, dass wir es ihnen nicht sagen sollten?«
»Ganz sicher. Kann passieren, dass sie gar nix deswegen unternehmen, sich einen Dreck drum scheren. Aber sie können mich genauso gut dafür ins Kittchen stecken. Ist nicht grad meine Traumvorstellung von ’nem Lebensabend. Im Sträflingsanzug bei brütender Hitze im Steinbruch malochen – das würd ich in meinem Alter keine sechs Monate mehr mitmachen.«
»Keine Sorge«, sagte ich. »Was hat es denn mit den Artikeln und dem Ordner auf sich? Wollen Sie mir was zeigen?«
»Dieser Ordner hier enthält Polizeiberichte. Hab dir doch gesagt, auf Jukes kann man sich verlassen. Ich werd dir jetzt erzählen, was ich da gefunden hab, Stan. Hör gut zu. Kombinier es mit allem, was du schon weißt, aber klammer dich nicht an irgendwas davon, kapiert?«
»Ich glaube schon.«
»Denk um die Ecke. Finde raus, was dahinterstecken kann, aber beiß dich nicht dran fest, bevor du nicht alles andere ausschließen kannst.«
»Ist gut.«
»Aus diesen Zeitungsberichten haben wir erfahren, dass die älteste Tochter die Stadt verlassen hat, erinnerst du dich?«
»Ja, Sir.«
»Sie ist nach England gegangen, nach London. Steht hier im Gesellschaftsteil. Die sogenannte Gesellschaft in dieser Stadt besteht aus ungefähr drei Familien. Eine von ihnen sind die Stilwinds. Die junge Stilwind ist fünf Jahre vor den Morden an den beiden anderen Mädels, Margret und Jewel, weggegangen. Und jetzt
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