Ein feuriger Verehrer
Gedanken überschlugen.
Sie war in einem hübschen, kleinen Haus in Westchester gewesen und hatte dort mit ein paar Worten den Frieden einer Familie zerstört. Sie hatte einem Mann erklärt, dass seine Frau gestorben war, und mit anhören müssen, wie zwei kleine Kinder nach einer Mutter weinten, die nie mehr wiederkam.
Dann war sie in ihr Büro gefahren, hatte den Bericht geschrieben und – weil es jemand machen musste – Annes Schließfach ausgeräumt.
Und nach all diesen grauenvollen Dingen fuhr sie jetzt durch die Stadt, sah die Lichter, die Menschen, die Geschäfte, die sie tätigten, den Schmutz, der sie umgab, und fühlte sich … so lebendig wie schon seit langer Zeit nicht mehr.
Dies hier war New York mit all seinem Dreck und all seiner Dramatik, mit all seiner Brillanz und der Spur von Gemeinheit, die sich nur unzureichend hinter all dem Glitzerwerk verbarg. Prostitution, Betrug und Diebstahl, Armut, Elend, doch auch Glück und Reichtum prägten diese, ihre Stadt. All das hatte sie im Blut.
All das machte sie aus.
»Lady.« Eine schmutzige Faust klopfte an ihr Fenster. »He, Lady, wollen Sie eine Blume kaufen?«
Sie sah auf das Gesicht, das durch das Fenster spähte. Es wirkte alt, einfältig und hatte, nach dem Schmutz in den tiefen Furchen zu urteilen, bereits seit ein paar Jahren keine Seife mehr gesehen.
Sie rollte die Scheibe herunter. »Sehe ich so aus, als ob ich eine Blume kaufen wollte?«
»Es ist die letzte.« Der Alte grinste sie zahnlos an und hielt dabei eine jämmerlich zerrupfte Blüte, die anscheinend eine Rose darstellen sollte, in die Luft. »Ich mach Ihnen ein super Angebot. Für einen Heiermann gehört das Prachtstück Ihnen.«
»Einen Fünfer? Also bitte.« Sie wollte das Fenster bereits wieder schließen, doch wie ferngesteuert grub sie in ihrer Tasche nach ein paar Münzen. »Ich hab nur vier.«
»Okay, meinetwegen.« Er schnappte sich die Kreditchips, reckte ihr die Blume hin und schlurfte hastig davon.
»Wahrscheinlich direkt zum nächsten Alkoholladen«, murmelte Eve und fuhr, noch immer mit offenem Fenster, langsam wieder los, denn aus dem Mund des Alten war ihr ein regelrechter Pesthauch ins Gesicht geweht.
Die Blume im Schoß fuhr sie weiter nach Hause und sah, als sie durchs Tor in die lange Einfahrt bog, hinter einigen der Fenster warmes, einladendes Licht.
Nach allem, was sie an diesem Tag gesehen und getan hatte, trieb ihr der Anblick der erleuchteten Fenster die Tränen in die Augen. Leise trat sie durch die Haustür, warf ihre Jacke wie üblich über den Treppenpfosten und ging lautlos die Stufen in Richtung Schlafzimmer hinauf. Das Holz war blank poliert und der Marmorboden glänzte.
Auch das hier war ein Teil von ihr.
Genauso wie der wunderbare Mann, der auf sie wartete.
Er saß in einem Morgenmantel auf dem Sofa und sah im Fernsehen den Bericht von Nadine Furst, die mit bleichem Gesicht und blitzenden Augen vor dem zerstörten Stadion stand und dort mit einigen Beamten sprach. Die auf dem Bildschirm des Computers angezeigten Börsenkurse machten deutlich, dass er seit seiner Heimkehr ebenfalls nicht untätig gewesen war.
Da sie sich ein wenig närrisch vorkam, versteckte sie die Blume hinter ihrem Rücken und sah ihn fragend an: »Hast du überhaupt geschlafen?«
»Ein bisschen.« Er blieb einfach sitzen. Sie wirkte derart müde und zerbrechlich, als zerfiele sie bereits bei der leichtesten Berührung seiner Hand zu Staub. »Du musst dich dringend ausruhen.«
»Ich kann nicht.« Sie verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. »Dazu bin ich viel zu aufgedreht. Ich fahre gleich zurück auf das Revier.«
»Eve.« Jetzt stand er auf und ging auf sie zu. »Du machst dich krank.«
»Ich bin okay. Wirklich. Vorhin war ich ziemlich k.o., aber diese Phase ist inzwischen überwunden. Wenn alles vorbei ist, breche ich bestimmt zusammen, aber momentan geht's noch. Ich muss mit dir reden.«
»Also gut.«
Sie ging an ihm vorbei, hielt die Blume weiter so, dass er sie nicht sah, stellte sich ans Fenster und starrte in die Dunkelheit hinaus. »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Die letzten Tage waren wirklich ätzend.«
»Es war bestimmt nicht leicht, mit den Malloys zu sprechen.«
»Himmel.« Sie lehnte ihre Stirn gegen das kühle Glas. »Sie wussten es sofort. Familien von Polizisten wissen es, sobald wir vor der Tür stehen. Sie leben jeden Tag mit dieser Angst. Sie wissen sofort Bescheid, wenn sie dich sehen, aber sie verdrängen es. Man sieht es
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