Ein Frauenheld entdeckt die Liebe
Serena dazu bringen, Edwin in einem möglichst positiven Licht zu sehen?
„Liebste Nichte“, verkündete er, „ich bin sicher, dass Sie sich in jeder Beziehung auf Edwin verlassen können. Er ist bei den Damen sehr beliebt und steht auf vertrautem Fuß mit allen wichtigen Gastgeberinnen in London.“
Edwin errötete.
Serena blickte skeptisch drein.
„Ihr jungen Leute habt euch bestimmt viel zu erzählen“, fuhr Mathew ungerührt fort. „Deshalb lasse ich euch jetzt allein.“
Seine Absicht war so offensichtlich, dass Serena beinahe in lautes Lachen ausgebrochen wäre. Sie stellte sich vor, wie belustigt Nicholas diesem seltsamen Gespräch gelauscht hätte. Dann fiel ihr ein, dass er sich von nun an von ihr fernhalten wollte, und ihre gute Laune war wie weggeblasen.
„Ich sollte dich besser begleiten, Vater“, stieß Edwin in diesem Moment hervor.
„Bitte, gehen Sie noch nicht!“ Serena war aufgesprungen. „Papa hat mich beauftragt, Edwin ein Geschenk zu übergeben. Ich will es rasch holen!“ Sie eilte ins Nebenzimmer und kam mit dem kleinen Schmuckkästchen zurück, das den Ring mit der schwarzen Perle enthielt. „Für Sie, Cousin Edwin!“
Der öffnete das Kästchen und starrte das Schmuckstück an.
„Die schwarze Perle!“, rief Mathew aus. „Acton erwähnte, dass Sie sie bei sich trugen. Deshalb bestand für ihn auch nicht der geringste Zweifel an Ihrer Identität.“
„Natürlich kann ich sie nicht behalten“, entgegnete Serena. „Sie steht dem nächsten Earl of Vespian zu.“
Edwin starrte den Ring noch immer an. Etwas wie Abscheu huschte über sein Gesicht. „Es liegt hoffentlich kein Fluch auf dieser Perle?“
„Natürlich nicht!“
„Aber …“ Er schaute zu Serena hin. „Also …“ Er gab sich einen Ruck. „Vielen Dank, dass Sie mir den Ring geben wollen. Aber ich muss ihn doch nicht tragen?“
„Du willst ihn nicht tragen?“, wiederholte Mathew sichtlich schockiert.
„Nein.“ Er drückte seinem Vater das Kästchen in die Hand. „Trag du ihn. Dir gefällt er doch. Ich hingegen würde mich damit zum Affen machen.“
Mathew, der sehr wohl wusste, wie oft sein Sohn sich zum Affen machte, presste die Lippen zusammen. Nach kurzem Nachdenken nahm er den Ring und schob ihn sich auf den Finger. „Danke!“
„Gut.“ Edwin sah sehr erleichtert aus.
Etwa die Hälfte der Saison war bereits vorbei, als Serena ihren ersten Auftritt in der Londoner Gesellschaft hatte. Man begann sich bereits zu langweilen, denn bei Bällen, Dinnergesellschaften, Picknicks, Theateraufführungen und Frühstückseinladungen traf man immer wieder auf dieselben Leute. Ein neues Gesicht war daher eine willkommene Abwechselung – insbesondere, wenn es sich um ein so schönes Gesicht wie das der Lady Serena Stamppe handelte.
Melissa hatte versprochen, ihren Schützling mit der Kutsche vom Pulteney abzuholen. Und so traf die junge Dame gemeinsam mit Nicholas’ Stiefmutter und seiner Schwester bei den Gastgebern ein, wo sie, wie erwartet, für einiges Aufsehen sorgte. Tatsächlich sah sie hinreißend aus. Ihre Augen strahlten. Ihr Lächeln bezauberte alle. Und ihre Garderobe – sie hatte eine meergrüne Robe aus durchsichtiger Gaze gewählt, die über einem silberfarbenen Unterkleid getragen wurde – ließ die meisten der anwesenden Damen vor Neid erblassen.
Die Gentlemen lagen ihr zu Füßen. Nur einer fehlte: Nicholas. Doch Serena ließ sich ihre Enttäuschung nicht anmerken. Und als am nächsten Morgen eine große Anzahl von Sträußen, Briefchen und kleinen Geschenken im Pulteney eintraf, fühlte Serena sich sogar ein wenig getröstet. Sie beschloss, ihren Aufenthalt in London zu genießen.
Das war nicht immer leicht, denn von Nicholas sah sie kaum etwas. Gelegentlich trafen sie einander bei gesellschaftlichen Anlässen. Dann nickten sie sich zu wie flüchtige Bekannte. Nur nachts, wenn sie in ihrem Bett lag und die Einsamkeit sie einholte, gestattete Serena sich, an all das zu denken, was sie vermisste. Dann erschien die Zukunft ohne Nicholas ihr wie ein langer dunkler Tunnel.
Rasch gelang es Mr. Acton, ein kleines Haus in der Upper Brook Street für Serena anzumieten. Sie zog um, stellte mithilfe des Anwalts einige Dienstboten ein und setzte ihr scheinbar so vergnügliches Leben fort. Gemeinsam mit Georgie besuchte sie Tee-Gesellschaften, machte Ausfahrten in den Park, unternahm hin und wieder einen ausgedehnten Einkaufsbummel. Niemand hätte vermutet, dass sie sich innerlich leer
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