Ein Frauenheld entdeckt die Liebe
noch mit Nein antworten.“
Sie schaute ihn an, die Stirn leicht gerunzelt. „Würden Sie mich nach Mile End begleiten?“
„Wenn das wirklich Ihr Wunsch ist, ja.“
„Ich muss darüber nachdenken. Eigentlich war ich zu dem Schluss gekommen, dass man schlafende Hunde nicht wecken soll. Doch nun, da Sie die Frau gefunden haben …“
„… sofern sie noch lebt und das Dorf nicht verlassen hat …“
„… nun habe ich das Gefühl, mit ihr sprechen zu müssen.“
Er nickte verständnisvoll.
„Ich bin froh“, gestand sie, „dass Sie hergekommen sind. Nachdem Sie mir erklärt hatten, dass wir uns nicht mehr sehen dürften, war ich gekränkt und zornig. Vermutlich hauptsächlich deshalb, weil Sie mir so gefehlt haben. Gut, dass das vorbei ist.“
Nicholas schwieg. Als Serena an jenem Tag sein Haus am Cavendish Square verlassen hatte, war er in seinen Club gegangen, fest entschlossen, sein altes Leben wieder aufzunehmen. Er hatte mit Charles ein illegales Pferderennen besucht, sich in einer leicht anrüchigen Gaststätte betrunken und die Bekanntschaft mit ein paar Tänzerinnen vertieft, die im Theater am Haymarket auftraten. Nichts hatte ihn wirklich interessiert, nichts ihm wirklich Freude bereitet.
Nur den Unterhaltungen mit Georgie sah er mit einer gewissen Spannung entgegen. Seine Schwester hatte es sich nämlich zur Aufgabe gemacht, ihm alles über Serenas gesellschaftliche Erfolge zu berichten. Dabei vergaß sie nie, ihm mitzuteilen, wenn Serena mehr als einmal pro Abend mit ein und demselben Gentleman getanzt hatte.
Leider ließ ihr Bruder keinerlei Anzeichen von Eifersucht erkennen. Schade, dachte sie, denn sie war sich ganz sicher gewesen, dass er für Serena mehr empfand als für alle anderen Frauen. Vielleicht hätte es sie beruhigt, wenn sie gewusst hätte, dass er sich nach ihren Gesprächen meistens zu Gentleman Jackson’s begab, um beim Boxen alles andere zu vergessen.
„Ich glaube“, sagte er jetzt leise zu Serena, „Sie haben mich verhext. Ich kann Sie einfach nicht vergessen.“
Die Luft zwischen ihnen schien plötzlich zu knistern wie vor einem Gewitter. Serena spürte, wie ihre Haut kribbelte, ihr Puls raste. Ihr Mund fühlte sich trocken an. Und ihr war, als spüre sie die Wärme, die von Nicholas’ Körper ausging. Die Spannung wurde beinahe unerträglich.
Unwillkürlich schaute sie auf seine Hände. Die Knöchel waren verheilt. Nichts erinnerte mehr an den Kampf, den er gegen Samuel ausgetragen hatte. Der wilde Draufgänger war verschwunden. An seine Stelle war ein Gentleman in altmodischen Kniehosen getreten. Doch wenn sie in seine Augen sah, erkannte sie, dass er noch immer da war, der Mann, der keiner Herausforderung widerstehen konnte, der leidenschaftliche Liebhaber, der ihr Herz gestohlen hatte.
„Nicholas …“ Ihr Blick verriet deutlich, wonach sie sich in diesem Moment sehnte.
„Serena …“ Seine Stimme klang heiser. Mit der Fingerspitze berührte er die samtene Haut ihrer Wange.
Er liebte sie nicht. Er würde ihre Liebe nie erwidern. Das wusste sie. Doch er hatte zugegeben, dass sie ihm gefehlt hatte. Genügte das nicht für den Augenblick?
Ein Rest Vernunft war noch vorhanden. Doch Serena mochte nicht auf die Warnungen hören, die ihr Verstand formulierte. Sie wollte ungeachtet aller Konsequenzen noch einmal das Glück erleben, in Nicholas’ Armen zu liegen. Er würde ihr das Herz brechen, ja. Doch zuerst würde er ihr das Paradies zeigen.
Sie streckte die Hand aus, um sein dunkles Haar zu berühren.
„Nein, so etwas! Welche Schamlosigkeit!“, entrüstete sich eine Matrone am Nebentisch.
Mit einem Ruck fand das Paar in die Wirklichkeit zurück.
„Serena“, sagte Nicholas leise, „wir sollten gehen.“
„Aber …“, protestierte sie schwach.
Er lächelte. „Ich dürfte Sie gar nicht darum bitten, das weiß ich. Trotzdem muss ich es tun. Und glauben Sie mir, ich könnte es nicht ertragen, wenn Sie Nein sagten. Nie zuvor in meinem Leben habe ich mir so sehr gewünscht, an einem anderen Ort zu sein. Irgendwo, wo wir ungestört sind. Geht es Ihnen nicht ebenso?“
Sie nickte.
Das genügte. Er reichte ihr den Arm und führte sie zum Ausgang.
Auf der anderen Seite des Zimmers hatte Hugo Langton, der, genau wie viele andere, den Ausruf der Matrone gehört hatte, den Kopf gehoben. Er musterte das Paar, das beinahe für einen Skandal gesorgt hätte, und stellte zu seiner Überraschung fest, dass der Gentleman niemand anders als Jasper Lyttons
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