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Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)

Titel: Ein fremder Feind: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Isringhaus
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hatte sich seit seinem ersten Besuch nicht mehr am Krankenbett blicken lassen. Vielleicht wollte er unliebsamen Fragen aus dem Weg gehen. Vielleicht war es zu gefährlich. Vielleicht ließ er sich von Weinberg über Krauss’ Fortschritte unterrichten. Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Zu wenig. Was war dieser Straubinger für ein Typ? Krauss versuchte sich zu erinnern. Er schloss die Augen, reiste zurück in die Vergangenheit, beschwor ihre erste Begegnung herauf. Winter 1933. Sein Bruder Edgar hatte ihn zu sich in sein Büro gerufen. Als Krauss das Zimmer betrat, erhob sich ein Mann von seinem Stuhl und lächelte ihn höflich an.
    »Richard, ich möchte dir einen neuen Kameraden vorstellen«, hatte Edgar gesagt. »Theo Straubinger. Beste Referenzen. Ein schlauer Bursche für besonders knifflige Aufträge. Ein Spezialist für strategisch geplante Operationen und Täuschungsmanöver. Renner hat ihn mir ans Herz gelegt. Ich glaube, so einen können wir gebrauchen.«
    Straubinger hatte Krauss die Hand hingestreckt, das Lächeln wie festgefroren. Er war nervös, aber wer wäre das nicht gewesen, wenn es darum ging, die Krauss-Brüder zu überzeugen. Krauss suchte in seinem Gedächtnis nach dem ersten Eindruck, den Straubinger hinterlassen hatte, nach irgendeinem Gefühl, das ihn hätte einordnen können. Aber die verschiedenen Begegnungen hatten sich überlagert, waren nicht mehr voneinander zu trennen. Krauss erinnerte sich an ein diffuses Unbehagen gegenüber Straubingers Person, wusste aber nicht mehr, ob es aus dem ersten Treffen resultierte odersich später festgesetzt hatte. Straubinger, das fiel ihm jetzt wieder ein, strahlte stets eine ironische Distanz aus, eine leicht arrogante Überlegenheit. Er hatte so eine gewisse Art zu lächeln, als hielte er seine Mitmenschen allesamt für minderbemittelt. Gleichzeitig wirkte Straubinger oft unsicher, sonderte sich ab und teilte nicht den zumeist derben Umgangston in der Gruppe. Krauss grübelte. Ließ sich daraus irgendetwas ableiten? Mittlerweile waren sechs Jahre vergangen, Straubinger konnte sich in dieser Zeit verändert haben. Unwahrscheinlich, dachte Krauss. Menschen veränderten sich höchstens äußerlich, das grundlegende charakterliche Mobiliar war so gut wie unverrückbar. Also noch mal: Was sagten seine Erkenntnisse über Straubinger aus?
    Am Ende alles und nichts. Straubinger besaß zumindest die Intelligenz, um allein zu handeln – aber hatte er auch den Mut? Krauss zweifelte daran. Es sei denn, Straubingers Motiv war stark genug, ihn alle Vorsicht in den Wind schießen zu lassen. Vielleicht verfolgte er einen ausgeklügelten Plan, das würde zu ihm passen; vielleicht aber hatte er sich von der Situation hinreißen lassen, sich spontan entschieden. Was versprach er sich davon? Wollte Straubinger sein Gewissen beruhigen? Einen Teil seiner Schuld tilgen, indem er dem Feind half? Oder wollte er gar überlaufen zu den Engländern? Wusste er, dass Krauss für den britischen Geheimdienst arbeitete? Alles war denkbar und konnte doch völlig falsch sein. Er sollte besser versuchen, das zu klären, was in seinen Möglichkeiten lag. Bisher hatte er es vermieden, mit den Weinbergs über deren Beziehung zu Straubinger zu reden. Krauss wollte seine Gastgeber weder in Verlegenheit bringen noch nervös machen. Aber dass ein Gestapo-Mann Kontakte zu einer jüdischen Familie pflegte, war in diesen Zeiten mehr als ungewöhnlich. Krauss musste wissen, was dahintersteckte, wenn er nicht überrascht werden wollte. Er benötigte so viele Informationenwie möglich. Nur funktionierte das nicht, wenn er in diesem Zimmer festsaß. Er durfte sich nicht allein auf das verlassen, was die Weinbergs ihm erzählten. Es war überlebenswichtig, mit eigenen Augen zu sehen, sich ein Bild zu machen von dem, was außerhalb dieser Wände vor sich ging. Eins nach dem anderen, sagte sich Krauss, bloß nichts überstürzen.
    Er starrte auf die Tür. Irgendwie hatte er auch Angst vor dem, was sich dahinter verbarg. Wenn er die Schmerzen einmal beiseiteließ, konnte er sich nicht erinnern, jemals so behütet gewesen zu sein wie in den vergangenen Wochen. Diese Tür hatte alles Unheil von ihm abgehalten, die mörderische Welt da draußen ausgeblendet. Dort herrschte Krieg. Die Weinbergs hatten ihm erzählt, dass Polen von der deutschen Wehrmacht beinahe überrollt worden war und England kaum etwas unternahm, um seinem Verbündeten zu helfen. Krauss dachte an den Auftrag, den er nicht ausgeführt

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