Ein fremder Feind: Thriller (German Edition)
Krauss wurde von mehreren Kugeln getroffen, die Badeinsel war voller Blut. Niemand überlebt das, auch nicht dein geschätzter Vaterlandsverräter. Er hat bekommen, was er verdient hat. Fertig. Deine Schuld ist allerdings noch ungesühnt. Du weißt, dass du vor einem Kriegsgericht keine Gnade zu erwarten hättest?«
»Erspar mir deine Predigten. Tu einfach, was du meinst, tun zu müssen.«
»So einfach, wie du denkst, ist das nicht. Ich muss gewisse Dinge berücksichtigen, Entwicklungen vorempfinden, Interessen ausloten, Absichten erahnen. Politik ist ein anspruchsvolles Spiel, das einem alles abverlangt, wenn man zu den Gewinnern gehören will. Und wie du ja weißt, meine liebe Oda,kann ich es nicht leiden zu verlieren. Mit deiner Anwesenheit lässt sich meine momentane Position vielleicht verbessern. Zumindest hoffe ich das.«
Ihr war klar, worauf Göring hinauswollte. Wenn der Junge nicht wäre, würde ihr Onkel sich einen Dreck um sie scheren.
»Da muss ich dich leider enttäuschen. Deine Männer sind zu spät gekommen. Philipp ist in Sicherheit. In diesem Spiel hast du das schlechtere Blatt.«
Görings Wangen zuckten. Er musste sich anstrengen, um nicht aus der Haut zu fahren, dachte sie. Es war nur eine Frage der Zeit. Dafür kannte sie ihren Onkel zu gut.
»Bleiben wir mal bei den Tatsachen«, sagte er. »Für mich bist du diejenige, die hier in Ketten vor mir sitzt. Eine gesuchte Mörderin. Das ist doch was. Dich aus dem Verkehr zu ziehen, rettet vielen Menschen das Leben.«
»Das aus deinem Mund«, entgegnete sie höhnisch.
Göring tat verständnislos, legte den Kopf leicht schief.
»Also ich war es nicht, der seine eigenen Kameraden getötet hat. Bredow und Kestner hatten beide Frau und Kinder. Von den Toten in Schein-Carinhall mal ganz abgesehen. Das war ein Massaker, das ihr da angerichtet habt, du und dein geisteskranker Vaterlandsverräter.«
Die Heuchelei ödete sie an.
»Wir sind im Krieg, schon vergessen?«
Der Reichsfeldmarschall hob die Hand und wackelte mit dem Zeigefinger.
»Nein, nein, nein, komm mir nicht so«, sagte er. »Mit Krieg hat das nichts zu tun. Erstens kämpfst du gegen deine eigenen Leute, zweitens ohne Regeln. So etwas nenne ich Terrorismus oder Landesverrat. Ihr handelt ehrlos, hinterhältig. Krieg ist ein offener, ehrlicher Schlagabtausch, in dem derjenige gewinnt, der sich besser für seine Sache einsetzt.«
Oda sah ihn müde an.
»Wahrscheinlich glaubst du sogar, was du hier erzählst. Zuzutrauen wäre es dir. Du hast Polen von deiner Luftwaffe überrollen lassen und dabei das halbe Land zerbombt. Tausende Menschen sind gestorben. Was hat das mit Ehre zu tun?«
Göring schwieg, schaute aus dem Fenster und räusperte sich.
»Wir vertreten wohl unterschiedliche Positionen«, fuhr er fort. »Sehr schwer zusammenzukommen.«
»Ich habe doch gesagt, dass du mich nicht verstehen kannst.«
»Ich bin aber hier, um es zu versuchen.« Er beugte sich nach vorn, legte seine Pranke auf ihr Knie.
»Fass mich nicht an«, zischte sie und schüttelte die Hand ab. Göring setzte einen enttäuschten Blick auf. Was bist du nur für ein schlechter Schauspieler, dachte sie.
»Du hast Schlimmes durchgemacht, Oda«, sagte er mit betont leutseliger Stimme. »Niemand weiß das besser als ich. Man hat dir die Kindheit gestohlen. Du hast weiß Gott eine zweite Chance verdient.« Er legte die von ihr abgewiesene Hand theatralisch auf sein Herz. »Bevor du eine Entscheidung triffst, denke bitte daran, was ich alles für dich getan habe. Ich habe dich den Fängen deines furchtbaren Vaters entrissen, ich habe dir eine neue Familie, neue Hoffnung und eine Aufgabe gegeben. Ich würde dich auch wieder aufnehmen, das weißt du. Selbst jetzt. Du bist auf Abwege geraten, na gut. Aber das war auch mein Fehler. Vielleicht habe ich bei dir die Zügel zu sehr schleifen lassen, vielleicht hätten wir einfach öfter und intensiver miteinander reden müssen. Ich habe dich einfach zu wenig an meinem Leben teilhaben lassen. Denn in unseren Adern fließt dasselbe Blut. Wir kommen aus demselben Stall, Oda. In einer Familie muss man über Ausrutscher hinwegsehen. Wie gesagt, ich wäre bereit dazu. Von Herzen. Wenn du bereit bist.«
Fast hätte sie losgelacht, so grotesk erschien ihr die Situation. Göring war unmöglich. Er hatte sie damals zwar von ihrem Stiefvater erlöst, der sie vergewaltigt hatte, aber auch das Kind weggenommen, das in ihrem Bauch herangewachsen war, es zu Pflegeeltern gegeben.
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