Ein Freund aus alten Tagen
nicht im Verdacht zu haben, an der Sache beteiligt zu sein«, erklärte Meijtens. »Lass uns dafür sorgen, dass es so bleibt.«
Sie warf ihm einen kurzen Blick zu, den er nicht recht deuten konnte.
»Ich meine es ernst, Natalie. Mach jetzt keine Dummheiten, sonst musst du auch noch gehen. Das wäre einfach nur sinnlos.« Er legte die Hand auf ihre Schulter und lächelte. »Eigentlich ist das doch gar nicht so übel. Jetzt bezahlen sie mich im Prinzip dafür, dass ich mich zwei Monate lang von morgens bis abends mit Tristan beschäftige.«
Das brachte sie zum Lachen.
»Was willst du …«, begann sie, aber er unterbrach sie.
»Bertil möchte, dass ich meine Sachen packe und gehe, und ich habe keine Lust, ihm noch einmal zu begegnen.«
Er ging zu seinem Schreibtisch und legte zwei Notizbücher in seine Satteltasche. Auf einmal wurde ihm bewusst, dass er keinerlei persönliche Gegenstände an seinem Arbeitsplatz hatte. Keine Fotos von Hanna, keine kleinen Souvenirs, nichts. Er drehte sich zu Natalie um und flüsterte: »Ich hau dann mal ab, wir telefonieren.«
An der Tür holte sie ihn ein. »Ich begleite dich noch hinaus, ich möchte dich etwas fragen.«
Sie schwiegen, bis sie auf der Straße standen. Zum ersten Mal seit Tagen schien die Sonne.
»Was hast du jetzt vor?«, erkundigte sie sich.
»Weitermachen wie bisher und schauen, ob ich mehr über Wijkman und Terselius herausfinden kann. Ob ich etwas finde, was sich mit Tristan in Verbindung bringen lässt.«
»Und wie?«
»Indem ich mir ihre Karrieren im Detail anschaue, erst in den offiziellen Archiven, danach aber auch durch diskrete Interviews mit ausgewählten Personen. Tristan muss Spuren hinterlassen haben, wenn nicht im Helsinki-Komitee, dann eben woanders.«
Natalie dachte kurz nach, schüttelte dann jedoch den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht. Ich denke, als Tristan sich einmal entschieden hatte und Erik Lindman in einem albanischen Gefängnis saß, beging Tristan keine Fehler mehr. Und wenn die meisten Informationen aus einem Netzwerk nützlicher Idioten stammten und keine Angaben waren, zu denen Tristan selbst Zugang hatte, siehst du in den Archiven nichts davon.«
»Mag sein, aber damit werde ich jedenfalls anfangen. Wir müssen irgendetwas Konkretes finden, dürfen uns nicht nur auf die Behauptungen der Beteiligten verlassen.«
Natalie nickte langsam. Ihre Augen wirkten dunkler als sonst, aber das lag vermutlich am Gegenlicht.
»Es gibt noch etwas, was ich recherchieren will«, sagte Meijtens.
Er erzählte ihr von Tilas’ Äußerung über die ermordeten Bolschewisten und über Sven Emanuel, der Meijtens’ Visitenkarte bei sich getragen hatte.
»Du meinst, da gibt es einen Zusammenhang? Ist das nicht ein bisschen weit hergeholt?«
Er dachte erneut an den Karton und den Einbruch bei Hanna. Etwas, was Tilas gesagt hatte, verknüpfte sich in seinem Hinterkopf mit der Erinnerung an den Obdachlosen auf der Aussichtsterrasse. Aber die Sache war viel zu diffus, um sie mit Natalie zu besprechen.
»Wahrscheinlich schon, aber ich habe viel Zeit.«
»Ich habe über etwas nachgedacht«, sagte sie und schien nach den richtigen Worten zu suchen. »Was du sagst, stimmt. Die Leute, mit denen wir gesprochen haben, sind alle in irgendeiner Form an dem Geschehen beteiligt. Ich meine nicht konkret an dem, was Tristan getan hat, aber auf die eine oder andere Art sind sie alle miteinander verknüpft. Vielleicht sollten wir den Dingen, die wir gehört haben, etwas skeptischer gegenüberstehen. Unsere Gesprächspartner sind sicher daran interessiert, uns gewisse Dinge zu verschweigen, vielleicht auch, uns anzulügen. Das gilt eigentlich für alle außer Salling. Ich …«, sie verstummte kurz und schien zu überlegen, wie sie fortfahren sollte. »Gestern habe ich zu Hause gesessen und nachgedacht. Und da ist mir der Gedanke gekommen, dass vermutlich in allem, was wir gehört haben, in all dem, was Rooth, Wijkman und Sonia Terselius erzählt haben, eine Lüge versteckt ist. Es muss gar nichts Großes sein, sondern etwas, das uns auf eine falsche Fährte führt. Wenn einer von ihnen Tristan oder ein Mithelfer Tristans ist, müssen sie logischerweise in irgendeinem Punkt lügen. Stimmt’s?«
Da konnte Meijtens ihr nur recht geben. Schlagartig wurde ihm bewusst, wie unterschiedlich sie dachten. Für ihn ging es um ein Puzzle aus Fakten, um die Jagd nach dem richtigen Dokument. Bei Natalies Instinkten ging es um Menschen: ihre Motive, ihre Geheimnisse
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