Ein Freund aus alten Tagen
die Frau die perfekte Zeugin war: ein hohes Einfühlungsvermögen und ein ausgezeichnetes Gedächtnis, aber eine begrenzte Phantasie und keinerlei eigene Interessen.
»Stimmt, das müsste ungefähr hinkommen.« Sie sah Natalie neugierig an, fragte sie aber nicht, warum der Zeitpunkt so wichtig war.
»Danach ging die ganze Clique nach Stockholm, ich auch. Sie zogen in diese Prachtwohnung von Calles Vater am Tegnérlunden, und ich teilte mir mit einer Freundin eine kleine Bude in der Kommendörsgatan.«
»Sie haben selbst nie in der Wohnung am Tegnérlunden gewohnt?«
Rebecka Wester machte eine abwehrende Geste. »Calle wollte das nicht, und um ehrlich zu sein, sagte der Gedanke, gemeinsam unter einem Dach zu wohnen, weder Sonia noch mir sonderlich zu. Letztlich bildeten die drei den Kern, so war es immer schon gewesen.«
»Aber Sie sagten, dass sich etwas verändert hatte?«
Rebecka Wester nahm einen Lungenzug und dachte nach.
»Ja, irgendwie schon. Es wurden immer noch tolle Partys geschmissen und so, aber alles war geheimnisvoller, nicht mehr so fröhlich. Außerdem war da etwas, was ich nicht recht zu fassen bekam. Irgendwie war zwischen ihnen etwas verloren gegangen. Außerdem war da ja auch noch dieser unangenehme Schwule, der ständig bei ihnen auftauchte.«
»Johan Rooth?«
Sie antwortete mit einem Lächeln. »Wie ich höre, haben Sie Ihre Hausaufgaben gemacht. Johan Rooth, ein intrigantes Arschloch erster Güte. Ich gehörte weiß Gott auch nicht zu seinen Lieblingen, also sind wir quitt.«
Rebecka Wester berichtete von der ersten Zeit in Stockholm und dem Leben in der Wohnung am Tegnérlunden. Obwohl es um denselben Zeitraum und dieselben Ereignisse ging, von denen Rooth so geschwärmt hatte, erzählte sie in allen wesentlichen Punkten eine völlig andere Geschichte. Wo Rooth über Triumphzüge, einen politischen Reifeprozess und die Eroberung der Hauptstadt gesprochen hatte, sah Rebecka Wester etwas ganz anderes. Eine unbekannte Kraft, die drei Menschen auseinanderzog und an ihrer Freundschaft zerrte. Sie hatte etwas geradezu Böswilliges hinter dem schönen Schein wahrgenommen.
»Vielleicht habe ich mir das auch nur eingebildet. Aber ich denke, Erik spürte es auch, denn er wurde immer launischer und misstrauischer.«
»Und dann verschwand er?«
Rebecka Wester nickte langsam. »Und dann verschwand er, und danach war natürlich alles für immer vorbei.«
»Wie haben Sonia und Wijkman auf sein Verschwinden reagiert?«
»Sie waren beide am Boden zerstört. Calle nutzte die wenigen Kontakte, die er damals hatte, um diskrete Nachforschungen anzustellen. Er setzte sich sogar mit seinem alten Herrn in Verbindung, den er nun wirklich hasste. Aber ihr Problem war natürlich, dass sie nicht wussten, wo sie suchen sollten. Dann schlug jemand Moskau vor, und zwei Tage später stand diese Theorie und alles, was es über Erik zu wissen gab, in den Zeitungen. Das war furchtbar.«
Rebecka Wester schauderte.
»Ich dachte fast, Sonia würde daran zugrunde gehen. Trotz ihrer fanatischen Überzeugungen war sie eine sehr zurückhaltende Person, die stets um ein korrektes Äußeres bemüht war. Ihren Jurafreunden und Kollegen gegenüber wahrte sie immer ihre Fassade. Landesweit als Bolschewistin angeprangert zu werden muss für sie ein Albtraum gewesen sein.«
Rebecka Wester bestellte ihren dritten Gin Tonic, während Natalie nochmals dankend ablehnte, denn schließlich musste sie ja noch fahren.
»Sonia war nie ein besonders offener Mensch gewesen, aber nach Eriks Verschwinden zog sie sich immer mehr zurück. Ich war danach noch zwei Jahre mit Calle zusammen, nun ja, jedenfalls von Zeit zu Zeit. Aber Sonia traf ich immer seltener und war so gut wie nie in der Wohnung am Tegnérlunden. In gewisser Weise war Peter dann wohl genau das, was sie brauchte; der nette, langweilige und verlässliche Peter, der an ihrer Seite gewartet hatte.«
Sie starrte in ihr Glas.
»Dann kennen Sie also Laurén?«
Rebecka Wester schaute von ihrem Glas auf. War ihr Blick erstaunt, fast ein wenig verwirrt? Oder lag es nur am Alkohol? Natalie wusste es nicht zu sagen.
»Aber ja, natürlich kannte ich Peter.« Rebecka Wester sah auf die Uhr und seufzte. »Wann kommt denn jetzt endlich mein Mann? Ich glaube nicht, dass ich noch so viele Geschichten aus meiner irregeleiteten Jugend auf Lager habe, mit denen ich Sie amüsieren kann.«
Natalie dachte eine Weile nach, ehe sie ihre nächste Frage stellte. »Kannte Peter Laurén Sonias
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