Ein Freund aus alten Tagen
Stunde habe ich mit der albanischen Botschaft gesprochen. Sie behaupten, dass sämtliche Behörden in Albanien dieselbe Auskunft erteilen: Es gibt keinen Aron Bektashi Albanien. Weder vermisst, noch tot oder lebendig.«
10 Meijtens zog seinen Ausweis durchs Lesegerät und betrat den vertrauten Korridor. Es war fast halb acht und das Historische Institut verwaist. Natürlich hätte Meijtens keine Schlüsselkarte mehr haben dürfen, da seine Zeit als Angestellter des Instituts lange zurücklag. Vielleicht hatte er sie aus sentimentalen Gründen behalten, vielleicht auch weil Jakub darauf bestanden und die Sache mit der Institutssekretärin entsprechend geregelt hatte. Für den Fall, dass er irgendwann besondere Hilfe benötigen sollte, hatte er erklärt.
Am hinteren Ende des Korridors sah Meijtens nun Dozent Jakub Bem näher kommen, der mit seinem hüpfenden Gang seine geringe Körpergröße kompensieren zu wollen schien. Wie üblich trug er einen Stapel Bücher unter dem Arm.
»Herr Meijtens, welch unerwartetes Vergnügen! Lass mich nur kurz diese Dokumente ablegen, dann können wir uns unterhalten.« Er ging in eines der Büros, und Meijtens, der ihm folgte, stellte grimmig fest, dass man Jakub Bem erneut degradiert hatte. Im eingeschränkten Leben des Historischen Instituts mit seinen immer spärlicher fließenden Mitteln und den seltenen Belohnungen, die es zu vergeben gab, bildete die Raumverteilung das einzige Machtmittel der Institutsleitung, aus der sie möglichst viel Kapital schlug. Noch vor ein paar Jahren hatte Jakub Bem kraft seines Renommees in einem eigenen, geräumigen Büro gesessen. Je stärker die Zahl der Doktoranden und Studenten, für die er verantwortlich war, aufgrund des – durchaus zutreffenden – Gerüchts zurückgegangen war, dass Jakub Bem ein sehr anspruchsvoller Doktorvater und Dozent sei, desto schwächer war seine Position geworden.
Als der Dekan ihm nahegelegt hatte, seine Prüfungsanforderungen zu überdenken, war Jakub in die Luft gegangen und hatte erklärt, er weigere sich, das Niveau zu senken, um einen Beliebtheitswettbewerb zu gewinnen. Am nächsten Tag hatte er seinen Schreibtisch in einem Zimmer vorgefunden, das er sich mit zwei jüngeren Kollegen teilen musste.
Nun war sein Arbeitsplatz in ein Büro für Doktoranden und Gastforscher verlegt worden. Sein überladener Schreibtisch stand direkt neben der Tür. Meijtens fragte sich, was Jakub diesmal wohl gesagt hatte. Sein alter Doktorvater, dem sein letzter Umzug unübersehbar peinlich war, wühlte in seinen Papieren. Er wich Meijtens’ Blick aus und schlug vor, in das Café an der Universitätsbibliothek zu gehen.
Sie plauderten über gemeinsame Freunde und Gegner, und Jakub distanzierte sich philosophisch von den Intrigen des Instituts.
»Ich lasse sie machen, ich lasse sie machen. Ich habe meine Forschung und immer noch ein paar Studenten, obwohl diese für mich eine unerschöpfliche Quelle der Resignation darstellen.«
Er bestand darauf, Meijtens zu einer Tasse Kaffee einzuladen, und sie suchten sich einen etwas abseits stehenden Tisch.
Jakub streckte sich über die Tischplatte und legte seine Hand auf Meijtens’ Arm.
»Lieber Tobias, ich habe versucht, den Dekan zu erwischen. Er ist praktisch nie zu erreichen, es ist so hoffnungslos wie eh und je. Aber ich werde ihn bitten …« Er verstummte und fuhr nach einer Pause mit erhobenem Finger fort: »Ich werde ihm sagen , dass er dir eine Stelle geben muss. Irgendwie.«
Meijtens’ erstaunte Miene deutete er ganz offensichtlich falsch.
»Eine bezahlte Stelle, ein anständiges Gehalt. Nun ja, für den Anfang werden wir wohl etwas Provisorisches organisieren müssen, du kennst ja diese bürokratischen Winkelzüge. Aber du sollst dich nicht weiter mit solchen Taschenspielertricks abgeben müssen.«
Also betraf es nicht nur die Redaktion, was schon schlimm genug gewesen wäre. Und es ging auch nicht nur um Hannas Mitleid und Listons Misstrauen. Sogar bei Jakub, sogar hier, holten ihn sein Artikel und die Folgen ein. Seine Schuld an Sjöhages Selbstmord war allgegenwärtig.
»Darum geht es gar nicht, Jakub. Ich will meine Arbeit als Journalist nicht aufgeben.«
Als Jakub seinen Irrtum erkannt hatte, trat er schnell den Rückzug an. Er sprach ein wenig verkrampft über die Unantastbarkeit der Pressefreiheit und die Gefahr religiöser Gemeinschaften, die …
»Das ist schon okay. Ich habe das abgehakt. Ich wollte mit dir über etwas ganz anderes
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