Ein Freund aus alten Tagen
weiter.
Im Sommer vor Sonias letztem Schuljahr hatte sich alles geändert. Es blieb unklar, ob es an der schlechten Auftragslage des Unternehmens oder an Unregelmäßigkeiten lag, jedenfalls wurde Direktor Terselius plötzlich einer Überprüfung unterzogen. Ernste Herren aus Stockholm in dunklen Anzügen statteten ihm mehrere Besuche ab, bis die Situation am Ende offenbar unhaltbar geworden war. Den bevorstehenden Absturz und die Demütigung musste er als unerträglich empfunden haben.
»Es war Sonia, die ihn an einem Junimorgen in seiner geliebten Fliederlaube fand, wo er sich mit einer seiner Jagdwaffen in den Mund geschossen hatte.« Rooth nippte vorsichtig an seinem Sherry. »Es heißt, sie verreist auch heute noch, sobald der Flieder blüht, aber ich weiß nicht, ob das stimmt.«
Rooth zog sein Taschentuch aus dem Ärmel, wischte sich die Mundwinkel ab und war mit seiner Erzählung eindeutig noch nicht fertig.
Meijtens trank einen Schluck Sherry und wartete geduldig.
Sonia und ihre Mutter waren nun in einer vollkommen veränderten Lage gewesen. Die Mutter bekam als Trostpflaster eine schlecht bezahlte Sekretärinnenstelle im Unternehmen, und sie zogen in eine der einfacheren Wohnungen für Angestellte um. Der Konkursverwalter hatte ihnen alles von Wert genommen, und die Verwandten zeigten der entehrten kleinen Familie die kalte Schulter. Es war eine soziale Degradierung, wie sie nur wenige erleben mussten. Sonia machte natürlich ihr Abitur, aber das letzte Schuljahr verlief nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Die bewundernde Schar ihrer Freundinnen löste sich auf, und der Besuch von Abiturbällen kam für sie nicht infrage, da es ihr sowohl am nötigen Geld für ein Kleid als auch und vor allem an Einladungen mangelte. Die Welt, in der sie als ungekrönte Königin geherrscht hatte, war nun kalt und unwirtlich geworden, und diejenigen, die früher ihre engsten Freunde gewesen waren, ließen sich nun die raffiniertesten Bosheiten einfallen.
Rooth blickte nachdenklich in sein Glas. »Junge Leute können sehr grausam sein«, sagte er fast zu sich selbst. »Aber Sonia biss die Zähne zusammen und machte ihren Abschluss. An ihrem großen Tag wartete am Schultor nur ihre Mutter auf sie, und gemeinsam gingen sie zu ihrem bescheidenen Zuhause, wo keine Gäste sie erwarteten. Sonia hatte ihr Abitur mit Bestnoten und einem Hass auf die Klassengesellschaft gemacht, den wir, die auf der sozialen Leiter eher nach oben geklettert sind, nicht einmal ansatzweise nachempfinden können. Im Herbst begann sie, in Uppsala Jura zu studieren.«
»Was können Sie mir über Erik Lindmans Engagement bei Veritas erzählen?«, fragte Meijtens.
Rooth schenkte ihnen noch ein Glas Sherry ein. »Das meiste wissen Sie sicher schon«, sagte er in einem wesentlich ungezwungeneren Ton. »Sein Talent, seine Lust am Debattieren und sein unerschütterlicher Optimismus. Ich weiß nicht, wann er und Sonia ein Paar wurden, aber ich kann mich nicht entsinnen, dass sie es jemals nicht waren. Ich nannte sie immer unser Uppsalatrio, war aber gleichzeitig bemüht, sie in die Hauptstadt zu locken und zu größeren Aufgaben zu bewegen, die ich für Genossen ihres Kalibers angemessen fand.«
Er war ihr Hohepriester, Beschützer und Freund, und in seiner selbst auferlegten Rolle warb er geeignete Talente für die Partei und weiß der Himmel für wen noch an.
»Und am Ende gingen sie dann auch alle nach Stockholm, nicht wahr?«
Rooth lächelte. »Mit Pauken und Trompeten. Das muss im Herbst 1963 gewesen sein. Sonia sollte am Amtsgericht arbeiten, Erik war vom Außenministerium zur Ausbildung für den diplomatischen Dienst angenommen worden, und Carl hatte sich entschlossen, Journalist zu werden. Wenn ich mich recht erinnere, hatte er eine Stelle bei der Stockholmzeitung bekommen. Man hatte das Gefühl, dass sie die Hauptstadt im Sturm eroberten. Verstehen Sie, was ich meine?«
Meijtens nickte nur, er wollte Rooths Redeschwall nicht unterbrechen.
Die drei waren gemeinsam in die komfortable Wohnung der Familie Wijkman am kleinen, zentral gelegenen Park Tegnérlunden gezogen, die Carl übernahm, nachdem sein Vater beschlossen hatte, dauerhaft in Frankreich zu bleiben. Erik und Sonia wohnten in dem prachtvollen Schlafzimmer mit Erker und Carl im alten Arbeitszimmer seines Vaters mit einem großen Balkon. Er hisste die rote Fahne am Balkongeländer, musste sie nach einem kleineren Proteststurm der Nachbarn jedoch wieder einholen.
Wieder
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