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Ein Freund aus alten Tagen

Ein Freund aus alten Tagen

Titel: Ein Freund aus alten Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magnus Montelius
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Tatsache, dass sie in seinem Heimatland lag, sondern damit, dass sie am weitesten von Paris entfernt lag, wo er selbst Botschafter war. Obwohl Carl sich nun endlich wohlfühlte und Kameraden fand, die Freunde fürs Leben werden sollten, hatten seine Erlebnisse in den vornehmsten Internatsschulen Europas den Rebellen in ihm zum Leben erweckt. Keiner wusste, woher er die Inspiration nahm, aber schon im Alter von sechzehn Jahren begann er, bei Schuldebatten, im Klassenzimmer und bei jeder sich bietenden Gelegenheit offen für den Marxismus zu plädieren.
    »Ich möchte Sie daran erinnern, dass wir hier über die Fünfzigerjahre sprechen, das antikommunistische Jahrzehnt schlechthin. Man hat mir erzählt, dass einige der älteren Jungen irgendwann die Nase vollhatten und ihm mit dem stillschweigenden Segen des Lehrerkollegiums die Kleider vom Leib rissen, ihn rot anmalten und am Fahnenmast hochzogen.«
    Meijtens verschluckte sich an einem Ingwerkeks und musste husten.
    »Carl soll die Internationale gesungen haben, bis sie ihn wieder herunterholten«, sagte Rooth, und seine Stimme hatte einen stählernen Unterton bekommen.
    Meijtens sah für einen flüchtigen Moment einen anderen Johan Rooth, ehe der alte Mann seine verträumte Stimme wiederbekam.
    In Uppsala wurde Carl Wijkman bereits in seinem ersten Semester zu einer führenden Gestalt bei Veritas. Kurioserweise behielt er trotzdem seine alten Freunde aus der Internatsschule und war darüber hinaus Mitglied des Trefinerordens, eines losen Verbunds für alte Internatsschüler aus Sigtuna und Lundsberg, dessen Hauptbetätigungsfeld darin bestand, sich jeden Dienstagnachmittag in einem Lokal zu treffen, Rheinwein zu trinken und studentische Lieder zu grölen.
    »Er hat in einer dieser grauenvollen Combos Banjo gespielt.« Rooth schüttelte den Kopf und lachte leise in sich hinein.
    »Nun, so treu Carl seiner Ideologie blieb, so sprunghaft verlief sein Liebesleben«, fuhr Rooth mit einem Augenzwinkern fort. »Auch auf diesem Gebiet schien er mit einem Fuß in seinem alten Milieu bleiben zu wollen, denn für seine amourösen Eskapaden suchte er sich ausnahmslos politisch desinteressierte Mädchen aus der Oberschicht aus.«
    Rooth zupfte die Blättchen von zwei Erdbeeren und legte die Früchte in seinen Tee. Er berichtete von einer festen Freundin, einer jungen Frau, die immer wieder an Wijkmans Seite auftauchte, schien es sich dann plötzlich anders zu überlegen und erzählte stattdessen jede Menge Anekdoten über Wijkmans Eroberungen.
    »Und Sonia Terselius?«, warf Meijtens ein, als er genug über Wijkmans Liebesleben erfahren hatte.
    »Ach, Sonia hat die kaum wahrgenommen«, erklärte Rooth, der Meijtens Frage offensichtlich falsch verstanden hatte. »Sie interessierten und störten sie nicht weiter.«
    Auf einmal erkundigte er sich bei Meijtens’ nach der Berichterstattung der schwedischen Presse über die Lage in Kuwait. Meijtens antwortete ausweichend, immer bemüht, seinen Interviewpartner nicht zu reizen. Rooth betrachtete ihn mit halb geschlossenen Augen.
    »Sie haben nach Sonia gefragt«, sagte er dann. Er schien Meijtens’ Fragen zu registrieren und auf sie einzugehen, wenn er der Meinung war, dass die Zeit dafür reif sei. »Wie Carl Wijkman stammte auch Sonia Terselius ursprünglich aus der wohlhabenden Oberschicht, aber damit enden die Ähnlichkeiten auch schon. Sonias Vater war geschäftsführender Direkter eines Industriebetriebs in einem dieser mittelschwedischen Städtchen gewesen, die mit und von dem einzigen Unternehmen am Ort leben. Dort wohnen die Arbeiter unten im Tal, die Angestellten und Ingenieure in besseren Wohnungen und der Direktor oben auf der Anhöhe in einer prachtvollen Villa. Für mich als Marxisten sind solche Orte Schweden im Miniaturformat. Sonia war Einzelkind und der Augenstern ihres Vaters. Außerdem war sie auffallend hübsch, hatte lange dunkle Haare, ein markantes Kinn und braune Augen. Natürlich war sie auch der Star der Schule und der Mittelpunkt ihrer Clique. Das Leben muss ihr wie ein Traum erschienen sein.«
    Johan Rooth sah auf seine Uhr.
    »Wissen Sie was, ich glaube, wir müssen uns ein wenig beeilen und uns trotz der frühen Stunde einen Sherry genehmigen. Ich brauche etwas für den Hals, um weitersprechen zu können.«
    Während Rooth zwei Gläser holen ging und in einem Sideboard stöberte, stellte Meijtens fest, dass es verblüffend früh für einen Aperitif war. Rooth füllte die beiden Gläser und redete

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