Ein Freund aus alten Tagen
größeres Essen für Gleichgesinnte. Kurz nachdem Erik das Außenministerium verlassen hatte, im Herbst 1964. Wijkman erzählte die Geschichte in kurzen, abgehackten Sätzen ohne Details. Aber Natalie komplettierte das Bild mit dem, was Meijtens ihr über sein Interview mit Rooth erzählt hatte. Sonias Coq au Vin, serviert auf dem edlen Porzellan der Familie Wijkman. Die Diskussionen, die politische Gemeinschaft, das Banjo und Wijkmans Freundin in Tweedrock und Twinset, die sich entrüstete. Bis sich die Stimmung plötzlich änderte.
»Ich nehme an, es lag am Wein. Er wirkte manisch, fiel allen anderen ins Wort. Als hätte er in jeder abweichenden Meinung einen Verrat gesehen. Das sah dem alten Erik nun wirklich überhaupt nicht ähnlich.«
»Er stellte den Marxismus infrage?«, hakte Natalie nach.
Carl Wijkman schüttelte den Kopf. »Eher die Sowjetunion als den Sozialismus als solchen. Erik, der die Treue zu den Sowjets schon mit der Muttermilch aufgesogen hatte, sprach auf einmal von der Gefahr eines neuen sowjetischen Imperialismus.« Er verstummte wieder kurz. »Ich dachte, wie gesagt, es sei etwas Vorübergehendes.«
»Aber das war es nicht, seine Zweifel blieben?«
Sie waren immer noch allein in dem Café, und Wijkmans Blick flackerte zwischen dem Ausgang und den leeren Tischen hin und her. Schließlich bestätigte er, dass sie richtiglag.
Das Arrangement in der Wohnung blieb unverändert, Erik und Sonia wohnten in dem großen Schlafzimmer und Wijkman selbst im Balkonzimmer. Aber die Partys und Diskussionsabende wurden seltener. Eriks verschlossene Art und sein plötzlicher Wutanfall führten dazu, dass ihr geselliges Leben nach und nach zum Erliegen kam.
»Und dann war er plötzlich verschwunden?«, soufflierte Natalie.
Carl Wijkman nickte, aber es dauerte eine Weile, bis er etwas sagte. Er war auf einer einwöchigen Reportagereise gewesen. Als er nach Hause kam, war Sonia völlig hysterisch. Sie war in Frankreich im Urlaub gewesen, und als sie zurückkehrte, war Erik verschwunden, ohne ihr eine Nachricht hinterlassen zu haben. Niemand wusste, wo er steckte.
»Aber Åke Sundström hatte Sonia doch erzählt, dass Erik eine Weile verreisen wollte. Damit sie sich keine Sorgen machte«, warf Natalie ein.
Wieder schwieg er kurze Zeit. »Wenn ich mich recht entsinne, hatte er ihr nur eine ziemlich vage Erklärung geliefert. Außerdem waren sie und Åke nicht gerade die besten Freunde. Sonia kann auf ihre Art ein fürchterlicher Snob sein.«
»Aber hatte Erik ihr nicht auch auf anderem Wege eine Nachricht zukommen lassen, hatte er nicht mit jemand anderem gesprochen, dem Sonia vertraute?«
Zu Natalies Verwunderung stand Wijkman heftig auf und warf seine Serviette auf den Tisch.
»Kommt das jetzt wieder von Åke? Soll das etwa die Grundlage für Ihre Artikel bilden – die Aussagen eines verbitterten Menschen, der Erik in den letzten Jahren kaum noch kannte?« Sie bemerkte eine Ader an seiner Schläfe, die vorher nicht sichtbar gewesen war. »Wenn wir dieses Gespräch fortsetzen wollen, muss es schon seriös zugehen.«
»Wir reden mit allen möglichen Leuten. Nicht nur mit Åke und nicht nur mit Ihnen. Sie wissen, wie das läuft.« Ihre letzten Worte klangen wie ein Vorwurf, und das war durchaus beabsichtigt.
Er ließ sich langsam auf seinen Stuhl zurückfallen.
»Es tut mir leid, Sie haben natürlich vollkommen recht. Es ist nur, die ganze Sache mit Erik … Nein, wir haben keine Nachricht bekommen, weder Sonia noch ich. Wir wussten von nichts.«
»Und dann war auf einmal die Hölle los«, sagte Natalie.
Ihre Stimme klang leise, beinahe rücksichtsvoll. Sie würde ihn nicht mehr lange so unter Druck setzen können, das wusste sie. Aber er erzählte weiter, als würde dieser Teil der Geschichte ihn selbst genauso verblüffen. Eines Tages waren wie aus dem Nichts die ersten Artikel über Erik erschienen, und danach wurden es täglich mehr. Ständig tauchten neue Details über seine politischen Aktivitäten in den Medien auf. Das Ganze wurde wahnsinnig aufgebauscht. In den Augen der Öffentlichkeit war er schon als Spion verurteilt, und solange keine anderen Informationen vorlagen, gingen alle davon aus, dass Erik sich in Moskau aufhielt.
Wijkman seufzte schwer. »Aber wie Sie in Ihrem Artikel andeuten, stimmte das wohl überhaupt nicht, und das begriffen wir schon damals.«
Keiner von ihnen sagte etwas. Das einzige Geräusch war entlegenes Klappern von Geschirr in der Küche.
»Wir haben uns
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