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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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in Hainen oder kleinen, unregelmäßigen Grüppchen, so daß man dazwischen fast überall einen Pfad findet, entlang besonnter Kolonnaden oder über Lichtungen von sanftem, parkähnlichem Charakter, mit braunen Nadeln und Kletten bestreut. Mal durchquert man einen wilden Garten, dann einen von Farnen und Weiden gesäumten Bach...
    Ich weiß nicht, wie lange ich mich in diesen Wäldern der Erinnerung verliere – eine Stunde, wenn nicht länger –, von den unbezwingbaren Bäumen geht es weiter zu den Abenteuern von Wasserschmätzer und Biberhörnchen, während sich bei mir nicht einmal die Andeutung einer Darmtätigkeit zeigt, da klopft Andrea an die Tür. »Ty?« ruft sie. »Bist du das da drin? Ich muß mal pinkeln.«
    »Sekunde noch!« Mit bohrendem Schmerz in beiden Hüften und meinem linken Knie fahre ich vom Klo hoch, ziehe mir die Hosen hoch, spüle und schließe das Buch.
    »Ty?«
    »Ja?«
    »Frohe Weihnachten.«
    Diese Floskel überrascht mich, das Unerwartete daran ebenso wie das Unerwartete an unserer Situation. Im Gefängnis wünscht man einander nicht frohe Weihnachten, und, wie gesagt, in den letzten Jahren waren Chuy und ich weitgehend auf uns allein gestellt gewesen. Seit langem hatte mir niemand mehr irgend etwas gewünscht, nicht mal Schlechtes, ein verzweifeltes Leben oder einen qualvollen Tod. Ich bin gerührt. Fast zu Tränen gerührt, so wie von dem Silberfolienengel in der Halle. Ich bin schon fast an der Tür, da fällt mir ein, mir am nächsten der vier Becken die Hände zu waschen, deshalb muß ich die Stimme heben, um durch die solide Holztür zu hören zu sein. »Dir auch«, rufe ich, und die Worte werfen Echos in der grabkammerartigen Weite des Raumes. »Frohe Weihnachten.«

Sierra Nevada, Mai–August 1990
    Tierwater spürte sein Alter. Anfang des Monats war er vierzig geworden, was man mit einer diskreten Party auf der Veranda hinter Ratchiss’ Hütte gefeiert hatte. In kleiner Runde, das war nötig, um FBI-Agenten mit Sicherheit ausschließen zu können: Frau und Tochter, Teo, Ratchiss und Mag (oder Mug). Alle, sogar Andrea, schienen guter Laune. Man trank einen kalifornischen Viognier, ohne sich um die Eichen und andere heimische Pflanzen zu sorgen, die von den Weingärten verdrängt worden waren, und als der Abend kühl wurde, amüsierten sich alle in der Badewanne aus Redwoodholz, ohne kritisches Gemurmel über die alten Baumgiganten, die für ihr kurzfristiges Vergnügen hatten gefällt werden müssen. Nachdem die Kerzen auf der Geburtstagstorte entzündet, zum Wünschen wieder ausgepustet worden waren, die Torte in Stücke geschnitten und verteilt worden war, ging Sierra – Sarah Drinkwater, Zentrum der Aufmerksamkeit in der Junior High School von Springville – in die Hütte, um einen Aufsatz über das antike Mesopotamien zu schreiben, während die Erwachsenen in der heißen Wanne blieben. Scheiß auf die globale Erwärmung, wenigstens für diese Nacht. Mag (oder Mug) gab mit hoher, lebhafter Stimme die Geschichte zum besten, wie er sein Gesicht an die Hyäne verloren hatte, wobei Ratchiss unterstützende Details einflocht (Sie sich anschleichen an mich, und hab ich einen mächtig Rausch, scharfes Aroma von Palmwein auf meinen Lippen, und ich träume vom großen Regen und den Hirsefeldern, da kommt sie und schnappt zu mit ihrem Riesenmaul) , Teo und Andrea schmiedeten Pläne zur verdeckten Teilnahme an einer koordinierten Serie von Protestaktionen an der Küste Nordkaliforniens, und Tierwater wurde so besoffen, daß er sich in den Wald verdrücken und eine Weile mit der Natur kommunizieren mußte – andernfalls hätte er sich in das sprudelnde Wasser der Badewanne übergeben.
    Heute allerdings war er nur leicht betrunken – gerade genug, um den Schmerz zu bekämpfen. Als er zwei Nächte zuvor dem Lampenstrahl eines Nachtwächters in Del Norte Country davongelaufen war, hatte er sich das schlimme Knie verrenkt und bei einem unachtsamen Tritt in ein Erdloch fast den Knöchel gebrochen, und nun saß er vor dem Kamin, das Bein hochgelegt, und anästhesierte sich höchst umsichtig. Im Haus war es still. Die Stille regierte seit dem Feuer letzten Sommer, das bei allen Earth-Forever!-Sektionen der Westküste eine Erschütterung – ja eine wahre Schockwelle – ausgelöst hatte. Einhundertvierzig Quadratkilometer waren abgebrannt, und E.F.!-Sprecher überall redeten sich den Mund fusselig, um jede Beteiligung daran abzustreiten – mochten ihre Anhänger auch durch die Straßen

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