Ein Freund der Erde
soll’s? Das war gewesen, ehe er sie überhaupt kennengelernt hatte – und wenn sie ganze Armeen gebumst hätte? Tierwater war nicht prüde. Und er war auch nicht eifersüchtig. Kein bißchen.
Nach dem Fleisch und vor der Torte entspann sich eine lange Strategiedebatte – über die bevorstehende »Redwood-Summer«-Kampagne, ob sich Andrea die Haare färben oder eine Perücke tragen sollte, um diskret aus den Bergen in die Stadt zurückzukehren und letzten Endes völlig aus der Versenkung aufzutauchen. Fred arbeitete daran. Irgendein Kuhhandel, keine Haftstrafe, nur ein bißchen karitative Arbeit irgendwo oder so etwas Ähnliches. »Und was ist mit mir?« hatte Tierwater gefragt. »Soll ich vielleicht ewig hier oben hocken? Und sieht das nicht etwas komisch aus, ich meine, wenn meine Frau mich so einfach im Stich läßt?«
Teo starrte ihn nur ausdruckslos an. Ratchiss blickte beiseite. Und Sierra, die sich der ländlichen Umgebung durch eine rituelle Rückwendung zum Grufti-Look angepaßt hatte (Friedhofsschwarz, Mitternachtsbleiche, ebenholzfarbener Lippenstift sowie der wiedergekehrte Nasenring, der das restliche Licht vom Himmel saugte), legte ihren Sojaburger weg und stieß eine Klage aus: »Und ich ?«
»Du bist aus dem Zirkus raus, Ty, vorläufig jedenfalls«, sagte Teo, lächelte Sierra kurz zur Bestätigung zu und wandte sich dann wieder an ihn. »Du mußt Geduld haben. Und niemand läßt hier irgendwen im Stich. Ich meine nur, daß Andrea wirksamer arbeiten könnte, wenn sie –«
»Und was meint sie dazu?« Tierwater schnitt ihm das Wort ab und wandte sich an seine Frau. »Ist das nicht das Wichtigste? Reden wir nicht im Grunde darüber?«
Andrea sah ihm nicht in die Augen – oder ja, sie sah ihm in die Augen, aber es war einer dieser Blicke, der zuckte und huschte und sagte: Ich will nichts davon wissen. Sie war den ganzen Abend über ungewöhnlich zurückhaltend gewesen, außer als sie mit Teo über Taktik und eine Kampagne zum Mobilisieren von Studenten für die Protestaktionen getuschelt hatte, und jetzt sagte sie nur: »Das ist kompliziert, Ty. Mehr als kompliziert. Können wir nicht später darüber sprechen?«
Und Ratchiss sagte: »Ja, Mann, soll das hier nicht ne Geburtstagsfeier sein?«
So war es. Und Tierwater, in dem Unsicherheit und Wut rumorten, trank sich einen Geburtstagsrausch an.
Jetzt, zwei Wochen danach, hatte er die Sache beinahe vergessen. Teo war wieder weg, ebenso wie Ratchiss und Mag (oder Mug), und Andrea war immer noch da, spielte weiter die Dee Dee Drinkwater mit ihrem Tom. Es war Abend. Alles war ruhig. Tierwater hatte das Bein hochgelegt, einen Drink in der Hand, vier gute Scheite Holz auf dem Feuer, in den Ohren nur das Knistern der Flammen und das depressiv-trübsinnige Gejammer von Sierras Grufti-Rock, das aus den Lautsprechern und durch die verschlossene Tür ihres Zimmers quoll wie eine unbekannte, invasive Naturgewalt. Er wollte gerade sein Glas zum Mund führen, als er dumpfe Schritte auf der vorderen Veranda hörte, gefolgt von einem leisen Klopfen an der Tür.
Das änderte die Lage, und wie.
Im selben Moment verwandelte er sich vom geschundenen Öko-Krieger, der sich etwas ausruhte, in den Ausbrecher auf der Flucht, der unter falschem Namen untergetaucht war und nun plötzlich für seine mannigfachen Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden sollte. Er erstarrte, sein Blick wurde so glasig und tot wie der der abgeschlachteten Tiere, die ihn von den Wänden anglotzten. Wieder klopfte es. Und dann eine Männerstimme, barsch und herzlich zugleich: »Tom? Tom Drinkwater? Sind Sie da drin?«
Wo war Andrea? »Andrea!« rief er. »Kannst du mal aufmachen? Andrea! Es ist jemand an der Tür.« Aber Andrea konnte die Tür nicht öffnen, weil sie gar nicht im Haus war – eine kleine, aber wesentliche Information, die verzweifelt an die Oberfläche seines Bewußtseins trieb, noch während er ihren Namen rief. Sie war vor einer halben Stunde mit der Taschenlampe weggegangen. Wohin? Auf einen Fußmarsch gut zwei Kilometer zur Bar, um dort in der Telefonzelle zu sitzen und auf einen Anruf von Teo zu warten, alles sehr geheimnisvoll, psst-psst, irgendeine E.F.!-Geschichte. Ty, jetzt sieh mich nicht so an...
»Tom?«
»Eine Sekunde, ich...« Tierwaters Blick fiel auf das Gestell mit den Großwildbüchsen, die Ratchiss an der Wand gleich neben der Tür aufbewahrte, dann erhob er sich aus dem Sessel und humpelte durchs Zimmer. »Moment, Moment, ich komme ja!«
Anfangs
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