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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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gegangen und Sierra sicher in der Schule abgesetzt war, dann wühlte er in der Garage nach Strickmütze und Fettschminke, nach Brecheisen, Bolzenschneider und Schraubenschlüsseln, alles mit schwarzem Isolierband umwickelt, um den Kuß von Metall auf Metall zu dämpfen, und die Taschenlampe mit dem roten Nagellack auf dem Glas. Und wie lauteten die Vorschriften des Bewährungsrichters? Innerhalb der Stadtgrenzen von Los Angeles bleiben, sich einmal wöchentlich beim Bewährungshelfer melden, keine Protestaktionen, keine Demonstrationen, keine Kontakte mit Baumschützern, weder friedlichen noch radikalen, vor allem aber keine illegalen Aktivitäten irgendwelcher Art. Keine außerfahrplanmäßigen Touren. Keine Nachtarbeit. Keine Sabotage. Das hatte der Richter überdeutlich zum Ausdruck gebracht.
    Ja. Scheiß auf den Richter.
    Schwarze Jeans, schwarzes T-Shirt, schwarze Stiefel: Tierwater sah aus wie jeder andere Angeleno von Anfang Vierzig, als er an der Straßenecke in den Bus stieg. Er stellte den Rucksack – schwarz, ohne Logo – auf dem Sitz neben sich ab und sah die Supermärkte, Restaurants, Schnäppchenläden und Reifenhändler an den schlierigen Scheiben vorbeiziehen, bis irgendwann in einem Meer von schimmernden, buckligen Autos das Schild von Budget Car auftauchte. Dort verwandelte er sich in Tom Drinkwater, und obwohl ihm klar war, daß das ein Problem gäbe, wenn sie ihn erwischten, reichte er dem Mann von der Leihwagenfirma die Visa-Karte von Tom Drinkwater und zeigte ihm den kalifornischen Führerschein von Tom Drinkwater, in der linken unteren Ecke ein Foto von sich selbst, auf dem er etwas verdutzt dreinblickte.
    Im Radio war nicht viel zu kriegen auf der langen Fahrt durch das Central Valley – Country oder Mexikanisches, eins von beiden –, aber in der Nähe von Stockton bekam er einen Oldies-Sender rein, erst das hypnotische Genudel von Jerry Garcia, gefolgt von einem ewigen Raga, mit denen Ravi Shankar in den Sechzigern sein Publikum beglückte. Das war in Ordnung. Die Gitarre kletterte die Leiter hinauf und wieder hinunter, hinauf und wieder hinunter, dann wieder hinauf, und die Sitar hüpfte wie ein nervöser Vogel von Ast zu Ast eines ausladenden Baumes. Er spürte die Musik – er sah sie geradezu –, und sie trug ihn zurück in eine Zeit, als Jane und er geblümte Hemden getragen hatten und Hosen mit derartig weitem Schlag, daß sie wie flatternde Segel wirkten, eine Zeit, als sie überall dabei waren und nie lange darüber nachdachten. Damals waren Drogen ein Teil seines Lebens gewesen. Und Protestaktionen. Politischer Protest. Flaggen verbrennen. Parolen johlen. Das Gesicht anmalen, einfach weil es geil war.
    Was er jetzt tat, war etwas anderes. Was er jetzt tat – in diesem Wagen, auf dieser Straße –, war das Vorspiel zu einem Racheakt. So einfach war das, und er gab sich diesbezüglich keinen Illusionen hin. Er fuhr mit ruhiger Zielstrebigkeit, hielt sich an die rechte Spur, außer um die LKW-Karawanen zu überholen, denn er wagte es nicht, die hechelnde Mietkiste viel mehr als fünfzehn Stundenkilometer über das Limit zu treiben: es lohnte einfach nicht das Risiko, hier angehalten zu werden. Es war auch keine gute Idee, daß viele Leute ihn sahen, deshalb hielt er nur zum Tanken an, und dabei kaufte er sich immer gleich einen Hot dog mit Chili und Käse oder einen Burrito aus der Mikrowelle, dazu eine Cola oder eine Tasse Kaffee, nur ein weiterer anonymer Reisender in einer ganzen Nation von Reisenden. Er fuhr den lichtdurchfluteten Nachmittag hindurch in den Abend und die Dämmerung hinein, dann funkelten die Sterne und die Scheinwerfer, bis er in einer Art Trance beim vagen Licht des Tagesanbruchs die Staatsgrenze von Oregon überquerte. Er fühlte sich flau im Magen – zuviel Fett –, und das Koffein war zu Schlick in seinen Adern geworden, deshalb verließ er die Autobahn und wählte immer verlassenere Wege, bis er einen Platz fand, wo er unter den Bäumen parken und ein wenig schlafen konnte.
    Es war nach vier Uhr nachmittags, als er aufwachte. Er dachte kurz an Andrea und an Sierra. Sie würden sich sorgen und, was Andrea anging, auch ärgern – er hörte sie zetern: Du Idiot, du Dussel, was denkst du dir eigentlich? Genug jetzt, Ty. Es reicht. Laß es gut sein . Die Stimme hallte in seinem Kopf wider, der Streit eine vertraute Litanei, aber er blieb ungerührt. Er schlug sich in die Wälder, kaute auf dem kalten Rest eines Bohnen-Burritos herum und kippte ein Wasser

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