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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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zurückgebunden, die Hände im Schoß gefaltet. »Du brauchst dich nicht bei mir zu entschuldigen, Dad. Ich finde, was du tust – und auch, was Andrea und Teo tun –, ist das Größte überhaupt. Das einzige, was man tun kann.« Sie blickte kurz auf, als Bunny Driscoll einen lauten Schluchzer unterdrückte, dann sah sie wieder ihn an. »Für mich bist du ein Held.«
    (Wenn man aus dem Gefängnis entlassen wird, was tut man dann als erstes? Man schnappt sich seine Alte und setzt sich ans Steuer eines Autos. Was für ein Auto? Egal. In meinen Fall war es der neue Jeep Laredo, den Andrea mir mit Aussicht auf den Immobiliendeal gekauft hatte, und der schlichte, prosaische Akt des Autofahrens – nach Lust und Laune irgendwohin zu düsen, auf dem Highway 101 South so richtig aufzudrehen, daß die Hügel und Wälder vorbeirauschen und alle braven Verkehrsteilnehmer von einem abfallen wie Blätter im Sturm – war das schönste Erlebnis meines Lebens. Ich trat voll aufs Gas, bis auf die Bodenplatte, alle Fenster offen, das Radio wummerte, über mir knallte die Sonne, und zur Rechten breitete sich der Ozean aus, frisch gestärkt und blau wie ein Gewehrlauf. Dann das Restaurant, ein richtiges Restaurant, mit schnieken Kellnern und Fisch auf der Karte – und Wein, Wein in einem Eiskübel, gleich neben dem Teller. Wir aßen draußen, in der Sonne, dann gingen wir ins Kino, meine Frau, meine Tochter und ich, wie echte Menschen. Schließlich ging es nach Hause, in das neue Haus, Mietvertrag für zwölf Monate, großer Rasen, Pfefferbäume an der Straßenfront, ist das nicht hübsch. Dann ins Bett. Und Sex.)
    Doch ehe er zum Wagen gelangte, mußte Tierwater erst den Spießrutenlauf der Reporter ableisten. Die Minicams surrten, man stieß ihm Mikrofone ins Gesicht: Mr. Tierwater, Mr. Tierwater, he, Ty, hier drüben. Ty, Ty ! Glauben Sie, daß der Wald zu retten ist? Wie sind Sie da drin behandelt worden? Was ist mit dem Fleckenkauz? Planen Sie neue Protestaktionen? Glauben Sie an den Nudismus? An das Vegetariertum? An Kristallenergie? Er umarmte seine Tochter, umarmte seine Frau, küßte sie beide für die Kameras, stand eine halbe Stunde vor dem Gefängnistor und schwang Reden und posierte mit Teo und der Präsidentin der E.F.!-Sektion von Santa Barbara, mit berühmten Vogelkundlern und landesweit bekannten Baumschützern, bis ihn Andrea entführte und er die Autoschlüssel in der Hand hielt, und dann rollte der Wagen die Asphaltstraße entlang auf die Autobahn. »Was meint ihr«, sagte er und drehte sich um zu seiner grinsenden Frau und dann zu der ihn anhimmelnden Tochter auf dem Rücksitz, »ob es The Fox wohl je so gut gehabt hat?«
    Nein. Die Antwort war nein. Denn so ein Gefühl gab es gar nicht, nichts in seinem Wortschatz konnte es ausdrücken. Er war wie elektrifiziert von Emotionen, er tanzte in den Socken, wiegte sich im Sitz. Ein Druck aufs Gaspedal, und er spürte, wie das Auto schneller fuhr, ein Tritt auf die Bremse, und es blieb stehen. Am Morgen sang er in der Dusche und ließ das Wasser laufen, bis es kalt wurde. Der Toaster war ein Wunder, der Duft von Roggentoast, das Licht in den Fenstern. Jeder gewöhnliche Augenblick jedes gewöhnlichen Tages war so schön, daß er hätte heulen können. Den Startknopf des Geschirrspülers drücken, mit der Fernbedienung lässig die Glotze in Gang setzen, unter dem Walnußbaum im Garten stehen und die Haubensperlinge durch die Zweige huschen sehen: so drückte sich der unermeßliche Reichtum seines frisch gesalbten Lebens aus. Die Mikrowelle brachte ihn zum Weinen. Bier im Sechserpack. Die Tagesdecke auf dem Bett.
    Und trotzdem – bei all dem Hochgefühl jener ersten Tage, trotz der Interviewer an der Tür mit ihren Mikros, Kassettenrecordern und gelben Notizblöcken, trotz seiner guten Gefängnisvorsätze, sich Sierras Schularbeiten anzusehen und zu den Elternabenden zu gehen, zu säen und zu mähen, zu düngen und zu mulchen wie all die anderen Gartenbesitzer –, trotzdem langweilte sich Tierwater bis in die Nähte seiner Socken, noch ehe die Woche um war. Oder es war eigentlich keine Langeweile – im Knast war es langweilig –, eher Rastlosigkeit, ein Gefühl der Leere und der Ohnmacht, die wachsende Gewißheit, daß alles nur eine Charade war. Die Tiere starben, die Wälder fielen. Und es standen noch etliche Rechnungen offen.
    Er sagte zu niemandem ein Wort. Wartete nur, bis Andrea zur Arbeit an den Telefonen des E.F.!-Büros ein paar Blocks weiter an der Straße

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