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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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schlurfte durch den Raum und sank auf den Stuhl, als wäre sie plötzlich gelähmt, während die anderen Häftlinge sich die Lippen leckten und ihr verstohlene Blicke zuwarfen – sie war eine Frau, das war sie bereits, und der Hälfte dieser pädophilen Schweine wäre das ohnehin egal gewesen. Fleisch, darum ging es ihnen, Fleisch und Körperöffnungen. Er wollte aufstehen und jemandem eine reinhauen. Jemandem weh tun. Jemanden bezahlen lassen.
    »Hallo, Dad«, flüsterte sie.
    Offenbar war Bill Driscoll fristgerecht zur Besuchszeit aus seinen Träumen erwacht. Tierwater hörte ihn, noch bevor er ihn sah – er saß drei Mann neben ihm und lehnte sich auf beide Ellenbogen gestützt nach vorn, während Bunny, seine Frau, ihn in so starrer Haltung gegenübersaß, als wäre sie auf den Sitz genagelt. »Ein paar von diesen – wie nennst du die? – Karamellen?« dröhnte er. »Die, die man sich im Supermarkt selber abwiegen kann. Und dann noch was von diesem anderen Kauzeug, was ich mag, das mit den drei Schichten und den Kokosflocken drauf. Eine große Tüte. Von beidem.«
    »Was denn?« fragte Tierwater. »Kein Kuß?«
    Sierra senkte den Blick auf den Schoß, und ihr Gesicht war schlichtweg ein Wunder, die seidigen Lider, die Wimpern dick und dunkel und frei von Wimperntusche, die Nase ihrer Mutter, auch die Augen von Jane. Dann stand sie auf, er ebenfalls, und sie legten die Hände vor sich flach auf den Tisch und drückten einander ihre Küßchen auf. »Kein Make-up«, bemerkte er, als er sich wieder auf den Stuhl niederließ. »Ist das wegen« – er nickte in Richtung der langen Reihe von Stühlen und der meist sehr jungen Häftlinge, die auf ihnen lümmelten und sich gegen den Tisch stemmten wie gegen einen Wind, der sie zur Tür hinaus- und in die Freiheit blasen könnte –, »wegen ihnen?«
    »Ich bin jetzt Veganerin«, sagte sie.
    »Ja, und?«
    »Das bedeutet: keinerlei tierische Produkte, nicht einmal Eier und Milch. Und Make-up – weißt du, was die diesen armen Versuchstieren antun, bloß um das Zeug zu testen? Also, zum Beispiel Eyeliner : findest du, daß ein Kaninchen oder vielmehr Hunderte von Kaninchen sterben müssen, nur damit wir uns die Augen anmalen können? Schon mal vom Draize-Test gehört? Weißt du, was das ist?«
    Er zuckte die Achseln.
    »Da tun sie den Tieren diese Chemikalien in die Augen – das Zeug, das in Wimperntusche und Eyeliner drin ist –, und dann konzentrieren sie es immer stärker, um zu testen, was passieren würde, wenn irgendeine Trulli sich das zentnerweise ins Gesicht schmiert. Nur um zu sehen, ob die Kaninchen und weißen Mäuse davon blind werden. Findest du das richtig?«
    Nichts war richtig. Ob man nun Schimpansen mit dem Aids-Virus impfte, Mäuse mit menschlichen Immunsystem schuf oder die Sierras abholzte. Natürlich war das nicht richtig. Aber das tat hier alles nichts zur Sache. »Kein Grufti mehr?« fragte er. »Was ist mit The Cure? Und deine schwarzen Sachen – hast du alles an einen Vampirclub verschenkt, oder was?«
    »Dad!« sagte sie, und er wußte, daß sie ihm nicht böse war.
    »Gehst du auch mit dem Hund raus?« erhob sich Bill Driscolls schwerer Baß über das allgemeine Gebrabbel. Der hätte Radiosprecher werden sollen, dachte Tierwater, einer von diesen abgefahrenen Frühstücksweckertypen. Oder, noch besser, ein Fernsehprediger. Den Hintergrund dazu hatte er ja. »Zweimal am Tag, wie du versprochen hast. Denn ich sage dir, der braucht das für seine Blase, und ich werde die Rechnungen vom Tierarzt garantiert nicht zahlen...«
    »In der Schule alles in Ordnung?« wollte Tierwater wissen. »Und zu Hause? Kommst du mit Andrea klar?«
    Sierra nickte.
    »Weil du nämlich eine beschissen faule Fotze bist, Bunny, du bist als faules Stück geboren worden – ich sitze hier drin, und du kannst deinen mageren Arsch nicht zweimal täglich von der Couch schleifen...«
    »Ich bin bald draußen, weißt du – nur noch sechsundzwanzig Tage –, und dann wird alles wieder so wie früher, du und ich...«
    »...und Andrea.«
    »Ja, und Andrea.« Er senkte den Kopf und atmete tief ein. »Aber ich weiß, daß ich ein paar Sachen getan habe, die ich besser gelassen hätte, und ich hätte mehr an dich denken sollen, an deine Bedürfnisse, meine ich – du hättest an erster Stelle stehen müssen –, und das werde ich diesmal tun, wenn ich rauskomme. Versprochen.«
    Sie sah ihn scharf an, graue Augen, das hübsche Vollmondgesicht, das Haar zu einem Zopf

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