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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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weißliches Gefieder mit zerfledderten schwarzen Flügelspitzen, und sie waren es, die Steine auf Straußeneier warfen, um so die harte Schale zu zerbrechen – als es noch Strauße gab, natürlich. Ich setze ihnen einzeln die Kapuzen auf und benutze dabei einen ledernen Falknerhandschuh, den einer von Macs saudiarabischen Freunden vor Jahren vergessen hat. Dann stehen wir draußen auf dem Rasen – oder dort, wo der Rasen wachsen wird, sobald sich der unbezähmbare Landschaftsgestalter wieder ins Geschäft gebracht hat.
    Die Hitze hat nachgelassen, es sind unter dreißig Grad. Überall riecht es nach Leben. Die Raubvögel krallen sich in meinen Arm und sitzen still wie Statuen, dann nehme ich einem nach dem anderen die Kapuze ab, und sie erheben sich mit wildem Schlagen ihrer armseligen Schwingen in die Lüfte. Lange Zeit sehen wir sie am Himmel emporsteigen, während hinter ihnen die Nacht einbricht und tief über den Hügeln das gepunktete, brüchige Ei des Sonnenuntergangs verglüht. Die Ahnung eines Windhauchs weht vom Meer heran.
    Bleibt nur noch Petunia.
    »Ich kann es nicht tun«, sage ich. »Ich kann es einfach nicht.«
    Andrea überlegt, während wir auf der Einfahrt stehen und hinter uns die Lichter des Hauses schimmern. Es ist kein Laut zu hören, nichts, weder das Dröhnen von Motoren noch das Heulen einer fernen Sirene, und dann hebt auf einmal eine einsame Grille als unverbesserlicher Optimist mit ihrem ganz eigenen schabenden, sägenden Singsang an. In diesem Moment berührt mich Andrea, ihre Finger streicheln sanft über die schlaffe, müde Haut meines Unterarms, über die erhabene Spur der Naht aus zweiunddreißig Stichen und all die Narben der übrigen Wunden, von denen ich gar nicht mehr weiß, daß ich sie erlitten hatte.
    Sie versteht mich. Andrea, meine Frau vor tausend Jahren und auch jetzt wieder meine Frau. Leise sagt sie: »Warum nehmen wir sie nicht mit?«

Los Angeles, September 1993/Scotia, Dezember 1997
    Tierwater kehrte reichlich erschüttert von seinem nächtlichen Abenteuer in Oregon zurück, und längere Zeit danach – fast zwei Jahre – führte er das Leben eines braven Bürgers, beispielhaften Vaters und ergebenen Ehemannes. Jedenfalls gab er sich Mühe. Große Mühe. Er arbeitete nicht, so etwas Profanes und Ödes wie einen Job brauchte er nicht – seine einzige Qualifikation bestand ohnehin nur darin, altmodische Einkaufszentren in den Sand zu setzen, und dafür gab es herzlich wenig Bedarf in Südkalifornien, wo die vielen Maxi- und Mini-Malls während der letzten zehn Minuten gebaut zu sein schienen –, außerdem war von dem Geld seines Vaters, jenem Geld, das Andrea und Teo aus dem Stein hatten quetschen können, der all die Jahre auf ihm gelastet hatte, noch genügend da, um zumindest eine Weile lang gut damit leben zu können. Und so stürzte er sich kopfüber ins Kleinbürgerdasein, auch wenn es das krasse Gegenteil von dem war, wonach er als Umweltschützer gestrebt hatte, aber egal: es war jedenfalls sicher. Und es bot ein weiches Nest für Sierra. Nur sie war jetzt wichtig, und was sie brauchte, das war ein Vater mit geregeltem Leben, ein sonnengebräunter, grinsender, unkomplizierter, hamburgergrillender Vater, der ihr ans Gartentor entgegenkam und nach dem Abendessen mit ihr über den Geometrieaufgaben rätselte – nicht irgendein eingesperrter Held.
    Aber jeder Tag schien ewig zu dauern. Andrea arbeitete und verdiente fünfundachtzigtausend Dollar im Jahr als Vorstandsmitglied von E.F.!, und Sierra war in der Schule, wo sie allmählich ihre Grufti-Clique hinter sich ließ und in den Griff der ungeschminkten, erderettenden Neo-Hippie- und Veganer-Truppe geriet. Und was tat Tierwater, abgesehen davon, daß er zum eingefleischten Hausmann, Drei-Gänge-Menü-Koch und Kotrainer von Sierras Freizeit-Fußballteam wurde? Er gärtnerte. Oder genauer gesagt, er betrieb Landschaftsgestaltung.
    Das Haus war gemietet, aber sie hatten eine Kaufoption, und Tierwater hätte so oder so gepflanzt, gemulcht, gebuddelt und gegraben – es war ein Zwang, oder es wurde bald dazu. Das Haus war eine klassische, breit ausladende Ranch aus den späten vierziger Jahren und stand auf einem halben Hektar Grund in einer eindeutig wohlhabenden Wohngegend. Das Problem war nur, daß sämtliche Pflanzen – Pittosporum, Glyzinien, Myrten und Sagopalmen, große Beete mit Fleißigem Lieschen, Efeupelargonien und Immergrün – keine heimische Vegetation waren, Wasser verschwendeten und die Umwelt

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