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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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darum?«
    Sie legte den Kopf zurück und leerte ihr Glas. Dann knallte sie es mit solcher Kraft auf den Tisch, daß es fast zerbrochen wäre, und daran sah er, wie wütend sie war. »Ich stehe da draußen an vorderster Front, seit ich dreiundzwanzig bin – und wo warst du damals?«
    »Was glaubst du, wie viele Arten sind ausgestorben, während wir mit nacktem Arsch durch die Berge gerannt sind? Sag mir das«, erwiderte er und ignorierte ihre Frage. »Wie viele haben wir gerettet in diesen dreißig Tagen? Und wie viele Straßen wurden gebaut, wie viele Bäume gefällt? Weltweit. Nicht nur in Kalifornien und Oregon, sondern weltweit.« Tierwaters Hand griff zur Flasche. Der Wein mochte Gift für die Umwelt sein, aber er sang in seinem Kopf. »Und da wir gerade beim Abrechnen sind: als ich in Lompoc war, wie viele Typen hast du da gevögelt?«
    Damit war das Gespräch beendet, aus und vorbei.
    »Na?« fragte er nach, und er fühlte sich gemein, wie eine Kröte, wie ein Verbrecher, wie einer, der seine Ehe mutwillig zerstört. »Ich kann dich nicht hören? Wie viele? Oder doch nur Teo?«
    Jetzt war sie auf den Beinen und er auch. In dem Blick, mit dem sie ihn ansah, war kein Platz mehr für Liebe, nicht mal mehr für Sympathie. Sie war sogar jenseits von Zorn, ja jenseits von Verachtung. Wäre sie ein Hund – oder eine Hyäne oder ein Patagonischer Fuchs –, sie hätte geknurrt. So aber warf sie sich nur mit einer Kopfbewegung das Haar aus dem Gesicht, kehrte ihm den Rücken und stolzierte aus dem Bild.
    Und Tierwater? Der schlug die Flasche so fest gegen die Wand, daß ihn der Aufprall bis ins Steißbein erzittern ließ. Er blieb eine Minute so stehen, den Flaschenhals in der Hand wie ein sprießendes Bouquet harter grüner Blumen, dann ging er in die Garage, um nach der Strickmütze zu suchen.
    Weit kam er nicht. Nicht an diesem Abend. Es gab ein Problem auf der Autobahn, Bauarbeiten am Seitenstreifen, eine Verbrecherjagd, ausgelaufene Chemikalien, Möbelwagen auf der Überholspur, ein Irrer, der mit seinem Pickup eine Ausfahrt blockierte und mit Selbstmord drohte – was immer. Wann gab es eigentlich mal kein Problem auf der Autobahn? Tierwater saß im Stau, steckte im Verkehr fest, und er kochte. Wo er auch hinsah, waren Autos – Autos, die von Apartments und Hochhäusern eingezwängt waren, von Restaurants, Parkplätzen und Kfz-Händlern –, und jedes pumpte pro Jahr sein eigenes Gewicht in Kohlenmonoxid in die Atmosphäre, immer und ewig. Im Radio gab es Talkshows und Skandale. Ein Baseballspiel. Oldies. Er hörte sich die Oldies an und fühlte sich nur alt dabei. Der Verkehr kroch dahin wie eine Armee im Anmarsch auf ein fernes Ziel, und er kroch mit, verfluchte die anderen Fahrer, ließ den Jeep Meter für Meter vorwärts kriechen, bis er die nächste Ausfahrt erreichte, die aber total blockiert war, genau wie die Straßen, zu denen sie führte.
    Sierra machte es richtig. Sie verweigerte das Autofahren. Wollte gar keinen Führerschein. Der Bus ist gut genug für mich, sagte sie. Oder die Jungs. Jungs bringen mich, wohin ich will. Die stehen doch Schlange, Dad, zehn an jedem Finger. Jungs, aha! sagte er, na sicher, und dabei zwinkerte er, weil er auf ihren Köder nicht anbiß. Aber erzähl ihnen auf jeden Fall: My heart belongs to Daddy .
    Wann war das gewesen – gestern? Vor einer Woche? Daran dachte er, und sein Zorn verflog, während der Jeep vorwärts rollte – die Schlange bewegte sich jetzt, das Auto ganz vorn fuhr ruckartig an, dann das dahinter und das nächste, die Bewegung wurde über Hände und Füße und Gaspedale in einer ununterbrochenen Kette weitergegeben –, bis er verdattert auf die Bremslichter des Wagens unmittelbar vor ihm starrte und selbst auf die Bremse trat, und zwar heftig. Denn in dem Augenblick, als alle losgefahren waren, hatte sich ein eckiger japanischer Kleinwagen frech von der Seite in eine Lücke zwischen die vorderen Autos gemogelt, woraufhin zwanzig Fahrer in der Schlange – betagte wie inkompetente, betrunkene wie kranke – schleunigst scharf bremsten. Ehe er nachdenken konnte – ehe er noch mit den Augen zwinkern oder die Zähne zusammenbeißen konnte –, wurde Tierwater auf dem Sitz zurückgerissen und dann nach vorn geschleudert, als der Wagen hinter ihm auf seine Stoßstange auffuhr, dem Jeep das Heck zerknautschte und ihn willenlos in den Wagen davor krachen ließ.
    Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er nie genau gewußt, was ein Peitschenschlagsyndrom ist –

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