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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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verpackten Geschenken unter dem Christbaum.
    Ja, na sicher. Und dann kam die Wissenschaft.
    Die Wissenschaft – Empirismus, Skeptizismus, Forscherdrang, Zweifel, Debattierfreudigkeit und gnadenloser Spott – war eine Mitgift meines jüdischen Vaters, Seymour Tierwater, den alle Welt Sy nannte (Alles klar? Sy und Ty) , nur ich nannte ihn Daddy. Im Krieg war er bei der Militärpolizei, ein Typ, der Leute so hoppsnahm wie er Walnüsse knackte, ein zorniger Mann, ein starker Mann. Er trank Wodka. Meine Mutter trank Scotch. Mit Unterstützung des Vaters meiner Mutter, eines röhrenden, bellenden, hartleibigen, kreidezeitlichen Wesens, das in den Wohnzimmern und Barkellern meiner frühen Jahre eine tragende Rolle spielte, hatte Seymour Tierwater seinen Abschluß in Architektur am City College geschafft und danach die Siedlung gebaut, in der ich aufgewachsen war. Und wie baut man eine Wohnhaussiedlung? Mit Hilfe und Anleitung Gottes? Mit Weihrauch und Zauberei? Mit dem Beistand der Engel? Nein. Man baut sie mit Hilfe von rechten Winkeln und wirklichen Dingen, konkreten Dingen – Dingen, die der Mensch selbst erzeugt oder sich zunutze macht in diesem abweisenden, fremden, gottlosen Universum, das existiert, weil es eben existiert, aus keinem anderen erkennbaren Grund.
    Mein Vater und ich hatten nie Diskussionen der Sorte: »Wenn Gott so gut und weise und allmächtig ist, wieso hat er dann die Zecke und den Bandwurm erschaffen und Millionen von Juden in den Öfen sterben lassen?« Für ihn gab es keinen Gott außer der Wissenschaft, von Anbeginn aller Zeiten. Aber der Ehevertrag meiner Eltern dürfte irgendeine hieb- und stichfeste Klausel enthalten haben – das Geld des Großvaters, die Religion des Großvaters –, denn mein Vater hat sich nie gegen meine frühkindliche Indoktrination ausgesprochen, jedenfalls nicht, daß ich wüßte. Er wartete nur ab, setzte mal eine nachdenkliche, mal eine spöttische Miene auf, sobald seinem Sohn die geweihten Worte – Jesus, Gottvater, der Heilige Geist – über die Lippen kamen. War es eine glückliche Ehe? Nein. Nicht mehr nach den ersten zehn Jahren, aber sie hielt, zusammengeschmiedet von einem großen Bett und dem Klickern von Eiswürfeln im Glas, bis ein Kran umkippte und ein Stahlträger herabfiel und ich mit siebenundzwanzig zur Waise wurde.
    Ich erwähne das alles, weil es mir den Kontext liefert, um zu beurteilen, was Andrea soeben gesagt hat. Und wenn ich sie recht verstehe, geht es darum: Die Welt geht vor die Hunde, deshalb müssen wir Das Leben der Heiligen des Umweltschutzes schreiben und Maclovio Pulchris abzocken, um dann zu verduften und unterzutauchen, bis wir die Beute dazu verwenden können, sie wiederaufzubauen. Die Welt.
    »Du wirst dich uns anschließen«, wiederholt sie.
    »Ich geh nirgendwohin. Oder nein, streich das – ich geh aufs Klo. Sake am Vormittag, du weißt, was das heißt.« Ein Blick auf April Wind. »Und du weißt es wohl genauso, was, April? Kommst ja auch langsam in die Jahre, oder? Wartet nur«, sage ich ihnen, allen beiden, und ich bin jetzt so wütend, daß ich das Blut in meinen Ohren singen höre, »wartet ihr nur, bis ihr so alt seid wie ich.«
    Und dann stapfe ich um die ewig überlaufenden Eimer herum, meine Schuhe patschen über den pitschnassen Teppich, und die Pyrotechnik in meinen Gedärmen ist die unmittelbare Folge davon, daß ich mit fünfundsiebzig töricht genug bin zu glauben, ich könnte mich um zehn Uhr morgens ungestraft mit Sake vollschütten. Mit billigem Sake noch dazu. Mein Bedürfnis ist dringend, aber ich bleibe trotzdem noch an der Klotür stehen, um meiner Exfrau und derzeitigen Bettgespielin einen vernichtenden Blick zuzuwerfen. »Hast du eben wirklich gesagt: ›E.F.! wird wieder abheben‹? Hab ich richtig gehört: ›wieder abheben‹? Sag mal, du mußt ja völlig verblendet sein.« Oh, oh, und jetzt bin ich knapp vor dem Platzen, die Blähungen zerreißen mich. »Falls das Projekt je abgehoben hat – und erzähl mir nicht, daß es das wirklich getan hat, nicht so, daß es irgendwen gekümmert hätte, außer vielleicht Sierra und einen Haufen unzufriedener Spinner und ewiger Sucher –, dann finde ich das traurig, von Herzen traurig, und ich wünschte, ich hätte ihm damals mit einer rostigen Schere die Flügel gestutzt. Oder mit dem Messer. Einem Teppichmesser. Und Salz in die Wunde gestreut. Und komm mir nicht mit diesem beschissenen Quatsch von wegen Mucosa, denn nichts weiter ist es: Quatsch.«
    Ich

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