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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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lässiger Amputierter, mein Mißtrauen habe ich abgelegt – ja, restlos abgelegt –, und die beiden Frauen lachen mit mir. Es könnte mir schlechter gehen.
    Außerdem ist Petunia zurück, und das ist Grund genug zum Feiern. Chuy hat in der Ecke ihres Käfigs, wo der Hühnerdraht im Sturm aufgerissen war, eine Sperrholzwand eingesetzt und sie einen Meter tief in den Boden versenkt, so daß sie sich nicht drunter durchgraben kann oder jedenfalls keine Lust dazu kriegt. Nicht daß sie nicht scharf auf die Freiheit wäre – alle Viecher sind das –, aber sie muß wohl der faulste Patagonische Fuchs der Welt sein (da allerdings die Gesamtmenge der Patagonischen Füchse winzig und weiter abnehmend ist, dürfte die Untermenge der faulen unendlich klein sein). Jedenfalls ist sie wieder da, kauert vor einer Schale mit Hundefutter und den Leichen zweier frisch gefangener Ratten, die Chuy ihr als Willkommensgeschenk hineingeworfen hat, und ich weiß das alles, weil ich bei den Gehegen draußen war, ehe die Sonne aufging, um Stroh über den Schlamm zu verstreuen und ihr so ein gemütliches Lager zu bereiten. Und auch Delbert Sakapathian ist zufrieden, weil ich Macs Sekretärin dazu gebracht habe, ihm für den Verlust seiner Katze persönlich einen Scheck über tausend Mäuse zuzustellen. So löst sich alles in Wohlgefallen auf, oder?
    Trotzdem, da drüben auf der Couch, das ist April Wind, und selbst wenn ich jetzt lache, weiß ich doch genau, daß mir früher oder später ein keckerndes Kichern oder ein feuchtfröhlicher Lacher in der Kehle steckenbleiben wird wie eine Fischgräte. »Erinnert ihr euch noch«, sagt Andrea gerade, und wir erinnern uns alle drei, mit breitem Grinsen, an den Tag am Tehachapi Pass, heiß und trocken und mit einem so blauen Himmel, als wär’s das Auge von jemandem – na schön, das Auge Gottes, falls ER zu existieren geruht –, und an den Schock dieses Flusses, die Instant-Eiseskälte. Wir rannten wieder mal den Waldis davon, und irgendwer – Teo? ich? – bestand auf dem Fluß, um sie von der Fährte abzubringen, und wie tief ist er denn? fragte jemand, knietief, allerhöchstens knietief. »Und dann ist Ty von diesem Felsen aus reingegangen, und tauchte wieder auf, prustend wie ein Eisbär!« Ach ja. Ja. Ha-ha.
    »Wann war das eigentlich genau?« sinniert April Wind. »Vor oder nach Sierras... weil ich mich nicht erinnere, daß sie da dabei war, oder irre ich mich jetzt...?«
    Rrrumms! geht der Wind und sucht sich den perfekten Moment aus, um an meine Hütte zu klopfen. ( Auftritt Spukgestalt; Abgang Frieden, Vernunft und alle guten Vorsätze.) Beide sehen mich an, Andrea mit ihrem rekonstruierten Gesicht und dem mitternachtsschwarzen Haar, die Augen so glänzend und reflektierend, daß man sich einseifen und darin rasieren könnte, und April Wind, diese erstaunliche zwergwüchsige Tantra-Tussi mit einem Blick wie zwei Schrauben, die sich in eine Zaunlatte bohren. »Danach«, sage ich und horche auf das Plätschern des Regens, das lauter wird, um die Stille zu füllen.
    Aber was sehe ich vor mir? Ich sehe Sierra Tierwater mit vierundzwanzig, die aus Janes rundlichem Gesicht (kreisrund, wie das von einem Teigmännchen) zu mir heruntersieht, ihr langer Zopf baumelt herab wie ein Glockenseil, und ein feiner Regen aus Partikeln rieselt von der verwitterten Plattform hoch oben auf ihrem Baum herunter. Ihrem Redwood. Ihrem tausend Jahre alten, sechzig Meter hohen Redwood, der an die hundert Tonnen wiegen mußte und aus dem sich schätzungsweise sechstausend Meter Bretter schneiden ließen, das waren 800000 Dollar, die da mitten in diesem alten Wald standen und nur aufs Abholzen warteten. Dieser Baum. Der sie berühmt machte. Artemis nannte sie ihn, nach der Herrin der Natur.
    Genau. Das sehe ich vor mir, meine Tochter Sierra, wie sie da auf halbem Wege zum Himmel in einem Blizzard aus mystischer muttererdiger New-Wave-Scheiße sitzt, ein Fanal für die Esoterik, und jeder wahnsinnige Spinner mit schlechter Laune und einer Kettensäge schleicht unter diesem Baum herum.
    »Daran bist du wohl ziemlich zerbrochen«, wirft April Wind in die heulende Stille ein – die buchstäblich heult, mindestens Windstärke 8, ein wahres Universum von nicht nagelfesten Gegenständen saust als verschwommener Schleier an dem einzigen Fenster vorbei, das noch nicht zugenagelt ist. »Hast du damals dann so richtig angefangen mit... na, du weißt schon...«
    »Zerbrochen?« Ich werfe ihr das Wort zurück, sofort nach

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