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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Porträt von Thoreau ab; der Spalt selbst dürfte inzwischen ein Stück größer geworden sein – bei dem Regen senkt sich ja alles, oder?). Noch mehr? Das Dach hat ein neues Loch, leicht zu bemerken an dem lauter gewordenen Trommelwirbel in der Ecke des Schlafzimmers, wo es sowieso immer in die Eimer tropft. Wahrscheinlich muß ich die Veranda noch einmal mit Sandsäcken abdichten, und der Nachmittag wird wohl wieder in einem Strom aus Schlamm und Hyänenscheiße untergehen, wobei Chuy und ich versuchen werden, die Tiere vor dem Ertrinken zu retten.
    Dann klingelt auf einmal das Bildtelefon – eigentlich spricht es zu mir: Neuer Anrufer , teilt mir eine mechanische Stimme mit –, und ich hebe das andere Handgelenk, um das Gespräch entgegenzunehmen: »Ja?« sage ich, leider fehlt meiner Stimme jeglicher Enthusiasmus – allzuviel erwarte ich nicht mehr von diesem Tag oder auch von dieser Woche, diesem Monat oder diesem Jahr.
    »Ty? Bist du da?«
    Die Stimme klingt vertraut, ein sanfter Zuckerguß, so hoch wie die eines Kindes, und ich kenne sie so gut wie meine eigene... »Mac?« rate ich.
    »Gib mir ein Bild, Ty, komm schon!«
    Ich drücke die Taste, und da ist er, Maclovio Pulchris, eingesperrt in das kleine Quadrat auf der Unterseite meines Handgelenks. Er trägt den Schlapphut, mit dem er geboren wurde – der dürfte ihm sogar beim Passieren des Geburtskanals auf dem Kopf geklebt haben –, und drei Strähnen seines glänzenden geglätteten Haars (seine Aalpeitschen, so nennt er sie) legen sich vor die verspiegelte Sonnenbrille, genau über die Stelle, wo sein linkes Auge wäre. Wenn er diese Brille je abnähme. »Meine Güte, Ty, du siehst wirklich beschissen aus.«
    »Vielen Dank. Genau so wollte ich immer schon aussehen. Hab lange daran gearbeitet.«
    »Bist du im Bett? Um diese Zeit?« Pause. Eigentlich sieht man von ihm nur Nase, Lippen und Wangenknochen. Es ist eine Verkleidung, und sie läßt ihn irgendwie alterslos erscheinen, obwohl er kaum zu den Jungjungen, ja nicht mal zu den Jungen gehört. Dann, ganz leise und gepreßt, mit der Stimme eines verängstigten Fünftkläßlers: »Du bist doch nicht etwa krank?«
    Was soll ich sagen? Andrea ist im Nebenzimmer, und die ist eine Art Krankheit. Ebenso wie April Wind. Und Earth Forever!. »Nein, Petunia ist abgehauen – aber keine Angst, es geht ihr gut, wir haben sie wieder eingefangen.« Ich hebe den bandagierten Arm in die Kamera. »Nur hat sie mich in den Arm gebissen, außerdem regnet’s wie aus Eimern, und ich war schon vor Morgengrauen auf, um frisches Stroh in die Gehege zu streuen, die Sandsäcke prüfen, solche Sachen eben.«
    »Ich weiß.«
    Ich betrachte sein Gesicht, das so starr ist wie eine geschnitzte Holzmaske, aber ich weiß, was meine Miene am anderen Ende ausdrückt: Verwirrung, hinfällige Betagtheit, Unsicherheit, Inkompetenz, etwas Tattriges um die Augen und ein ausgeprägtes Schrumpfen der Mund- und Kinnpartie. »Wie meinst du das?«
    »Ich bin hier. Zurück aus dem sonnigen North Carolina, wo es tropische Drinks gibt. Und es ist Spitze dort, echt – über dreißig Grad jeden Tag, Sonnenschein, wie man sich’s gar nicht mehr vorstellen kann... aber Ty, weißt du was?«
    Und darauf sage ich, der Champion der Jungalten, im Vollbesitz meiner geistigen Fähigkeiten und frisch beseelt von meinem neuesten sexuellen Triumph, was wohl? Etwas Schlagfertiges wie »Mmh?«.
    Wieder diese Fünftkläßlerstimme, piepsig und in betrübtem Flüsterton: »Ich mache mir Sorgen um die Tiere.«
    Genau wie ich , möchte ich am liebsten antworten, was glaubst du, wofür du mich bezahlst? Leider erhalte ich keine Gelegenheit dazu. Denn in diesem Augenblick kommt Chuy zur Tür hereingepoltert – in mein Schlafzimmer, so daß ich mich fragen muß, wo mein Frieden und meine Würde geblieben sind –, er fuchtelt mit den Armen, sein Mund öffnet und schließt sich tonlos, er ist so aufgeregt, daß er offenbar in keiner der beiden Sprachen, die sich in seinem Hirn bekriegen, die Worte bilden kann. Aber ich sehe es in seinem Blick – Probleme, große Probleme –, und natürlich ist er triefnaß, Haar und Schnurrbart sehen aus wie soeben vom Meeresgrund geborgen. »He, tut mit leid, Mac«, sage ich zu meinem Handgelenk, »ich hab hier was Dringendes, ruf dich später zurück«, und unterbreche die Verbindung.
    »Was?« fauche ich Chuy an. Jetzt sitze ich kerzengerade im Bett, das trübe Licht vom Nebenzimmer fällt matt auf die bemoosten Wände, und die

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