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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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zwei schnellen, brennenden Schlucken Sake, und vergeßt die zarten kleinen Täßchen, jetzt haben meine Lippen unmittelbaren Kontakt mit dem feuchten chromgrünen Hals der Flasche. »Bist du deshalb gekommen? Das ist jetzt das Interview, ja? Wir lachen nicht mehr miteinander, oder? Alles für das kalte nackte Papier, und fällen wir ruhig die letzten zehn Bäume auf der Welt, um es zu drucken. Aber worum geht’s überhaupt, was ist der Aufhänger – interessiert sich denn noch irgendwer einen Scheiß dafür? Ich nämlich nicht. Wirklich nicht.«
    Oho, jetzt ist ihnen unbehaglich zumute, sie rutschen auf ihren Stühlen herum, ihre Köpfe zucken nervös, die Finger dröseln Haarlocken auf, die Blicke gehen nach links, nach rechts und kriechen die Wände hinauf. Was für ein Zufall, daß Andrea ausgerechnet dann zu mir zurückkehrt, als diese kleine Reporterin auftaucht. Es geht um Geld, das Geld irgendeines Verlegers – eine komische Heilige ist immer gut als Bestseller –, aber es steckt noch mehr dahinter, ich sehe es in ihren Augen glitzern. Andrea und April Wind. War ich denn blöd, daß ich dachte, sie führten nichts im Schilde?
    »Na schön, Ty, wir reden Klartext mit dir.« Andrea hat sich von ihrem Stuhl erhoben, steht am Herd, emsige Ellenbogen und zackige Schultern, sie klappert mit der Teekanne. »Vielleicht hatten wir jetzt genug Sake – ist etwas zu früh für mich. Noch jemand Tee?« Und sie dreht sich um, ein Lächeln auf den Lippen.
    Und ich? Ich bleibe einfach hocken, Hintern auf dem Tisch, grimmige Miene, und warte ab.
    Ein Seufzer. Das Lächeln zuckt und erstirbt. »Erstens«, sagt sie, »bin ich zu dir gekommen, weil du mir fehlst und weil ich dich brauche, also glaub ja nicht... und außerdem, wie du sicher längst ahnst, weil ich nirgendwo anders hinkann. Und weil ich nichts habe. Ich meine gar nichts. April und ich dachten... na ja, ein Buch, verstehst du? Ich brauche das Geld – wir brauchen das Geld –, stimmt schon, aber wir fanden auch wirklich, daß es Zeit ist, Sierras Geschichte zu erzählen – und deine auch –, damit die Leute sehen können, daß wir es versucht haben und daß man es wieder versuchen kann.«
    »Nicht daß sich die Leute dafür interessieren«, sage ich zutiefst verbittert. Noch ein Schluck Sake, direkt aus der Flasche, und er schmeckt wie Maschinenöl.
    »Doch, das würden sie, und du weißt das«, sagt April Wind, deren kleines Gesicht vor Überzeugung verzerrt ist.
    »Ich kann’s dir auch gleich sagen, Ty – wir lassen E.F.! wieder losgehen. Für die, die überlebt haben, meine ich.« Andrea zündet mit leisem Puffen den Gasherd an, stellt den Kessel auf die Flamme. Sie kann mir nicht in die Augen sehen.
    Für die, die überlebt haben. Diese Art zu denken hatte mich wahnsinnig werden lassen und in den Knast gebracht, ganz zu schweigen davon, daß mich der San Francisco Chronicle und ein halbes Dutzend anderer Zeitungen als »menschliche Hyäne« bezeichnet, geschmäht und karikiert hatten. »Wißt ihr irgendwas, was ich nicht weiß?«
    Es muß eines der allerschlimmsten Unwetter sein da draußen – der Regen peitscht jetzt fast waagerecht vorbei, wie Dachpappennägel, die man aus einer Pistole schießt, und der Hof scheint total in Aufruhr, eine aufgewühlte Suppe aus Schlamm und Wasser. Ich müßte eigentlich hinaus, um nach den Tieren zu sehen. Ich müßte Chuy holen. Und Mac. Und die Nationalgarde. Statt dessen habe ich einen Sakerausch, bin ein verhutzeltes, säbelnasiges, vornübergebeugtes Fossil, halte den Atem an und warte auf die schlechteste der schlechten Nachrichten.
    Andrea senkt den Kopf und sagt es sehr leise: »Sie haben die Mucosa an der Ostküste. Einen neuen Erregerstamm.«
    Das haut allerdings voll in die Magengrube. Kurz taucht Loris Gesicht vor mir auf, tanzt auf der Oberfläche, dann versinkt es wieder. Natürlich, ich wußte es ja – hätte es prophezeien können, und warum auch nicht? Wenn nicht die Mucosa, dann irgendwas anderes. »Kein Impfstoff?«
    Sie schüttelt den frisch überholten Kopf. »Noch nicht.«
    »Aber warum... ich verstehe nicht, wieso du...?«
    »Setz dich, Ty«, sagt Andrea, und April Wind ist dermaßen gespannt, daß ich meine, sie wird gleich von ihrer Hundecouch hochschießen wie eine Rakete, durchs Fenster hinaus und an einem Fallschirm in Sicherheit schweben.
    »Ich sitze ja schon.«
    »Hör zu, Ty, da ist noch etwas...«
    Ich bin ein alter Mann. Mir tun die Zähne weh, mein Knie, mein Rücken – und

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