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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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gelbe Nacktschnecke klebt auf dem Bild von Thoreaus Gesicht wie ein Saugnapf. (Morgenluft! Wenn die Menschen nicht davon trinken wollen am Urquell des Tages, so müssen wir auch sie auf Flaschen ziehen und im Laden verkaufen, zum Besten all jener, die ihre Abonnementskarte für Morgenluft in dieser Welt verloren haben.) »Was ist denn los?«
    »Los edificios , sie, sie...«
    » Edificios ? Welche Häuser denn?« Jetzt bin ich auf, steige in meine Jeans, die besorgten Mienen von Andrea und April Wind hängen weiter hinten wie an Schnüren.
    » Los, los Apartmenthäuser gegenüber, und die von Rancho Seco auch – pienso que , die fallen alle um, ich meine, in dem corriente draußen, Sie wissen schon, rrrumms...«
    Wenn Frank Buck Elefanten brauchte – das heißt, wenn ein Zoo oder Zirkus welche bei ihm bestellte –, dann fuhr er nach Ceylon rüber, heuerte ein paar Hundert Eingeborene an, die ihm einen ganzen Wald von tropischen Hartholzbäumen umhackten und aus ihnen ein Gehege mit einem über hundert Meter langen Eingangskorridor bauten. Fünf Meter lange Stämme wurden im Abstand von fünfzig Zentimetern rings um das Gehege – oder Kral, wie man dort sagte – in den Boden geschlagen, und dann, nachdem mit Hilfe von zahmen Elefanten eine Herde von Wildtieren in die Nähe gelockt worden war, löste Buck mit seinen Leuten eine Stampede aus, die sie wie die Schafe durch den Korridor in den Kral hineintrieb. Onkel Sol, der ihm dabei geholfen hatte, weihte mich in diese und andere Einzelheiten des Großtierhandels ein, als ich fünfzehn war, ein schmächtiger Junge mit Schrubber und Schaufel, überwältigt von der schieren Menge von Exkrementen – sprich: Scheiße –, die seine acht Indischen Elefanten täglich produzierten. Den Staub, erzählte er weiter, sah man schon von weitem, eine wirbelnde Wolke, gut zwanzig Meter hoch, und als nächstes spürte man das Stampfen durch die Schuhsohlen – fünfzig oder sechzig verstörte Tiere mit einem Gewicht von bis zu fünf Tonnen, die den Erdboden malträtierten. Am meisten aber erinnerte er sich an das Trompeten: wie eine Bläsergruppe, die immer nur die hohen Noten erwischt, knapp neben der Tonleiter, ein Geräusch, das einen erzittern ließ und Respekt einflößte – bis das große Tor zukrachte und der ganze graue Ozean zur Verkaufs- und Exportware wurde. Die Elefanten gingen nach Cincinnati, Cleveland, Chicago und in den Central Park, die riesigen Stämme des Krals verrotteten und stürzten irgendwann um, und der Dschungel wuchs darüber, um der nächsten Generation von Dickhäutern ein Versteck zu bieten.
    Das war vor neunzig Jahren. Inzwischen sind die Elefanten weg und der Dschungel auch – Ceylon ist heute nach meiner letzten Informationen zu einhundert Prozent entwaldet, eine Wüste voller arbeitsloser Elefantenführer und Reisigsammler in der dritten Generation. Onkel Sol hatte es leicht – der brauchte nur in die Wildnis rauszugehen und die Viecher zu fangen, und diese Wildnis war tief, ein Dschungel der nie gesehenen Anblicke und nie gehörten Geräusche, in den Bäumen huschten Schlankloris und Taguane, durchs Blattwerk lugten Moschustiere, Tapire und, ja, sogar Pangoline. Für Chuy und mich ist es ein bißchen anders. Wildnis gibt es keine mehr, und zum Fangen bleibt auch nicht viel, außer vielleicht Ratten. Wie sich an diesem sehr nassen sechsten Regentag in Folge herausstellt, besteht unser Job darin, eine Menagerie von eingesperrten, übellaunigen, stinkenden Tieren, die nach Blumen benannt sind, zu bändigen und in höhere Lagen zu verfrachten.
    Andrea wird uns dabei helfen. Ebenso wie April Wind und Macs zwei Leibwächter. Wir brauchen jede erdenkliche Hilfe, weil hier schlicht das Chaos ausgebrochen ist: zwei volle Apartmentblocks der Lupine-Hill-Siedlung sind eingekracht wie nasse Pappkartons (wo jetzt wohl Delbert Sakapathian mit seinem Tausenddollarscheck ist, frage ich mich), und Rancho Seco ist gar nicht mehr seco , sondern klitschnaß und sieht mit jeder Minute weniger wie eine exklusive eingezäunte Wohnsiedlung und mehr wie ein Flußbett aus, und meine eigene bescheidene Bude steht bis zur Flutmarke meiner Gummistiefel unter Wasser. Nicht lange nach Chuys Enthüllung in meiner düsteren Schlafkammer tauchte Mac höchstpersönlich an der Tür auf, eingewickelt in einen schwarzen Gummimantel mit Kapuze, der in einer früheren Inkarnation mal ein Leichensack gewesen sein mochte, seine Aalpeitschen baumelten schlaff herunter, die Sonnenbrille

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