Ein Freund der Erde
knalle die Tür zu, quasi als Ausrufezeichen, und dann bin ich allein auf dem Klo. Hier brennt nur trübes Licht – eine einzige gelbliche Spar-Neonröhre, die gerade genug Helligkeit abgibt, daß ich mich wieder wie im Knast fühle –, aber ich krame geistesabwesend meine Brille hervor und greife nach der zerknitterten Zeitung, die ich für meine qualvolleren Toilettensitzungen bereithalte. Zeitungen gibt es kaum noch, das sollte ich erwähnen – die Nachrichten kriegt heutzutage jeder auf elektronischem Weg, und die Papierkosten, sogar für Zeitungspapier, sind einfach untragbar. Trotzdem stehen ein paar von uns immer noch auf das haptische Erlebnis, deshalb druckt die Los Andiegoles Times alle zwei Wochen ein dünnes Blättchen für die Nostalgiker und die Verrückten, von den Verstopften gar nicht zu reden. Tja-ja. Die Seiten glattstreichen. Was lese ich da? Den Bericht über ein Footballspiel, das in einem leeren Stadion mit leckem Dach stattfand, die Einzelheiten sind ebenso belanglos wie das Ergebnis, Seite drei von vier, und der Rest handelt vom Wetter. Was uns bevorsteht – beziehungsweise was uns bevorstand, damals vor zwei, oder nein: drei Wochen? Regen. Wind. Überschwemmungen in tiefen und mittleren Lagen. Hundert Prozent Wahrscheinlichkeit von Tornados, Wasserhosen, Riesenwellen.
In meinem Unterleib brennt ein Feuer, kein Zweifel, und ich sitze da und warte es ab, lese dabei über Pässe, Ballabgaben und behende Beinarbeit, während der Wind draußen seine Klauen in den löchrigen Verputz schlägt und mein eigener, wohlbekannter Gestank giftig um mich herum aufsteigt. Ich werde noch eine Weile hier hocken, das ist eine Tatsache in meinem Alter (und vergiß die Altalten, die können sich den Schließmuskel ruhig zunähen lassen), aber ich verstecke mich hier vor niemandem, schon gar nicht vor den beiden Frauen im Nebenzimmer, die mein Haus übernommen haben, wie’s aussieht. Ich bin nicht bescheuert. Ganz egal, was Andrea erzählt, mit Liebe hat das, was hier abläuft, herzlich wenig zu tun – sie wollen an Mac ran, darum geht es ihnen. Sie wollen Geld. Und sie wollen mich. Oder vielmehr Sierra. Sierras Geist. Und wieso lasse ich mir das gefallen? Warum werfe ich sie nicht alle beide zur Tür hinaus und gehe zurück zu Lily und meinen Ameisenbären und Pekaris?
Weil mir langweilig ist. Weil ich nichts zu verlieren habe. Weil ich weiß, daß ich jederzeit die Bremse ziehen kann, wenn es sein muß. Weil ich mich treiben lassen will. Das Pony findet den Weg schon. O ja, allerdings.
Als ich zurückkomme, stecken die beiden die Köpfe zusammen, zaghaftes Lächeln begrüßt mich, den Herrn des Hauses, und in der Luft liegt ein Duft – zart, saftig, verführerisch –, ein Duft, der einen wahren Tumult in meinen olfaktorischen Gehirnbezirken auslöst und alle meine Verteidigungsmaßnahmen zunichte macht: sie backen Plätzen. Plätzchen! Die Welt geht einen Bach voller Scheiße hinunter, ich fühle mich wie von innen nach außen gekehrt: ausgeweidet, auf einen Spieß gesteckt, gegrillt und filetiert, und die zwei backen Plätzchen! Es ist zuviel für mich. Ich winke ihnen kraftlos zu und verdrücke mich in das verdammt feuchte Schlafzimmer für ein Nickerchen.
Ich erwache im Dunkeln zum Geräusch des Regens. Er fällt jetzt stetig, ein vertikales Prasseln, das an Wellblechdächer, Kokospalmen und Singapore Slings denken läßt, aber immerhin hat der Wind nachgelassen. Ich habe geträumt, meinen Standardtraum über ein zu großes Haus mit zu vielen Seitenflügeln und zu vielen Türen, die immer nur weiter hinein- und zu noch mehr Haus führen, und ich brauche gut fünf Minuten, um mein Bewußtsein wiederzubeleben. Wie spät ist es? Es fühlt sich an wie Mitternacht, allerdings fühlt es sich eigentlich immer so an. Meine Uhr zeigt 12.15 – mittags –, was mir auch recht plausibel erscheint. Ich hebe das Handgelenk ans Auge, um die leuchtenden Ziffern vor dem düsteren Hintergrund des Zimmers zu betrachten, mein Mund ist trocken, mein Kopf schmerzt, und ich bin noch müder als anderthalb Stunden zuvor, als ich hereingetorkelt bin.
Lange Zeit liege ich nur so da und schiebe die unvermeidliche Wiederaufnahme meines Hundelebens eine weitere monotone Minute vor mir her. (Die Wände schwitzen, um das zu wissen, brauche ich kein Licht einzuschalten, und die fette gelbe Nacktschnecke, die in dem architektonisch unpraktischen Spalt unter dem Fensterbrett lebt, grast garantiert den Algenbewuchs auf meinem
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