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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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außerdem ist da die dumpfe, ungeformte Ahnung von Schmerz, der gerade anfängt, sich tief in den verschlungenen Muskeln meines frisch genähten Unterarms zu melden. Ich starre sie nur einfach an.
    »Maclovio Pulchris. Den brauchen wir. Sein Geld jedenfalls. E.F.! wird wieder abheben, und zwar richtig. Wenn dieser neue Mucosastamm das ist, was wir glauben, dann droht jetzt der Zusammenbruch, von dem wir seit Jahren immer geredet haben.« Wie hat sie es so rasch durchs Zimmer geschafft? Denn sie steht auf einmal dicht vor meinem Gesicht, baut sich über mir auf, Andrea in ihrer vollen Größe, und dazu bereit, mir wieder mal die Daumenschrauben anzulegen. »Ist das klar, Ty? Denn du wirst dich uns anschließen.«
    Keine Zeit für eine schlagfertige Antwort, keine Zeit zum Nachdenken darüber, daß ich wieder mal benutzt werden soll, keine Zeit für Willensäußerungen oder auch nur Protest. »Ach ja?«
    Als ich noch jünger war – sagen wir, jung –, da kannte ich nur Leute, die am Leben waren. Inzwischen ist praktisch jeder tot, den ich kenne oder einmal kannte, und das Komische ist, daß keiner von ihnen eines natürlichen Todes starb – Er verschied im Schlaf, hat nicht gelitten , so was gab es nicht. Onkel Sol war eine Ausnahme, obwohl mir auch sein Tod unnatürlich vorkam, so wie jeder Tod unnatürlich scheint – ich war damals noch ein Teenager und arbeitete auf seiner Safari-Ranch in San Diego, wir steckten beide bis zu den Ellenbogen in uringesättigtem Stroh und der exotischen Scheiße exotischer Viecher, und, wie gesagt, er beugte sich eines Morgens über die Bulbulkäfige und spürte den Stich der Sterblichkeit zwischen den Rippen. Und das soll natürlich sein? Ich hatte Freunde, die vom Krebs dahingerafft wurden, und Lori – Lori ist in meinen Armen gestorben, wir beide mit Gazemasken vor dem Mund und die Mucosa so dick in ihren Lungen und im Hals, daß sie trotz eines Luftröhrenschnitts nicht mehr atmen konnte, und auch das war ganz natürlich, nichts ist natürlicher als die Krankheiten, die wir mit unserer klebrigen, promiskuitiven Lebensweise verbreiten. Aber was ist mit meinen Eltern, meiner Frau, meiner Tochter, was ist mit Teo? Man sagt, selbst wenn man alle Krankheiten heilen könnte (und was für ein Witz aus dieser hübschen Verheißung geworden ist), würden die Leute dennoch nicht viel älter als neunzig werden, wegen der vielen Unfallrisiken im Leben. Statistische Lebenserwartung? Würfeln ist genausogut.
    Zufall und Unfall regieren das Universum, das weiß ich, und man entrinnt ihnen nicht, egal, was die Wissenschaft sagt. Aber vom Zufall gelangt man leicht zur Idee des Glücks – und wer ans Glück glaubt, kann ebensogut die Kristallkugel hervorkramen und eine Zauberformel sprechen, oder sich von April Wind ein Totem ausborgen und mit den Bäumen quatschen. Los doch, betet zu den Göttern, betet zu Gott und zu Jehova, betet zu Newton und Kepler und Oppenheimer. Ihr werdet ja sehen, was es euch nützt.
    Meine Mutter, Bernadette O’Shaughnessy, die glaubte an das Mysterium mit göttlichem Antlitz, sie glaubte an den Himmel, heilige Geister und die Engel hoch droben. Sie sorgte dafür, daß ich in der gedämpften Stille der von Kerzenlicht erhellten Kirche der Heiligen Mutter Himmelfahrt in Peterskill, New York, auf der harten Bank saß, als ich noch so klein war, daß ich nicht mal über die Lehne sehen konnte. Und so implodierte jeder Sonntagmorgen in dem verschlafenen, öden, hirnerweichenden Ritual, das die Messe war, von der mir jedoch nichts weiter blieb als ein Wust von überarbeiteten Sinneseindrücken, die in meinem siebzigjährigen Hirn fehlzünden: der Handschuh meiner Mutter wie Seide auf meiner eigenen Hand, ihr starkes Parfum, das den narkotisierenden Moschusduft des Weihrauchs in die Schranken wies, die Eiseskälte des Weihwasserbeckens – eiskalt sogar im Sommer – und die Orgelmusik, es war wie ein exotisches Festmahl, das einen bis zum Platzen anfüllt mit etwas, was gar kein Essen ist. Ich besuchte den Religionsunterricht. Kannte Nonnen und Priester. Ich wurde acht, zehn, zwölf, empfing die Kommunion, wurde gefirmt und in die Mysterien des Lateins eingeweiht und erfuhr, daß Selbstbefriedigung Sünde ist und daß Gott immer zusieht. er erschuf das Universum, den Fliegenschnäpper, den Zaunkönig, die Schabrackenhyäne und all die vierundfünfzig Milliarden Galaxien, und er erschuf auch mich und den Weihnachtsmann und seine Engel und den Berg von schimmernd

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