Ein Freund der Erde
verspeist bis auf die Knochen von den wimmelnden Massen unserer entarteten Spezies. Afrika ist jetzt egal. Und die Natur ist egal – Natur ist das ja nicht einmal mehr, sondern unsere eigene Kreation, ein Hexengebräu aus den Emissionen fossiler Brennstoffe und den Folgen der Entwaldung. Diese Löwen leben hier, im Santa Ynez Valley – dies ist ihr natürlicher Lebensraum. Und wenn das Tal überschwemmt wird, dann bringen wir sie eben in höhere Lagen, zu einem neuen Lebensraum für den unendlich anpassungsfähigen New-Age-Löwen: in Maclovio Pulchris’ tausend Quadratmeter großen Keller.
Und wißt ihr, was ich dazu sage? Halleluja und gelobt sei der Herr.
Los Angeles/Titusville, Juli 1989
Was er sich wünschte, mehr als alles, sogar mehr als Rache, mehr als Andrea und die Bäume und die Fleckenkäuze – mehr als all das wollte er seine Tochter zurück. Nur das. Einfach mit ihr die Stufen des Jugendknasts hinuntergehen, sie ins Auto setzen und mit eingezogenem Schwanz zurück nach New York fahren – und es war nicht zu spät zum Umkehren, das Haus war noch nicht verkauft, auch das Einkaufszentrum hatte noch keinen neuen Besitzer, die alte Decke seines Lebens lag sauber gefaltet bereit, so daß er sie sich wieder über den Kopf ziehen konnte. Und Andrea? Vergiß Andrea, vergiß Sex, vergiß das Leben. Er wollte nicht am Leben sein, denn das Leben tat weh, und zwar schlimmer als alles, was er je gespürt oder sich nur vorgestellt hatte. Seine Tochter. Sie hatten ihm seine Tochter weggenommen. Und warum? Weil er angeblich als Vater untauglich war.
Als Vater ungeeignet. Das brachte ihn in Rage, und wie! Es ließ ihn explodieren wie eine Scud-Rakete, nichts als Schub und Treibstoff und zerstörerische Wut. Einen tauglicheren Vater gab es nicht – zeigt mir einen, das war seine Einstellung, zeigt mir erst mal einen. Er war Sierra seit ihrem vierten Lebensjahr Vater und Mutter zugleich gewesen, er hatte sie vor ihrer Großmutter retten und ihr sagen müssen, daß ihre Mami nicht mehr zurückkommen werde, weil sie vom Antlitz der Erde verschwunden sei, wie ein Geist oder ein Windhauch. Man stelle sich das in allen Einzelheiten vor. Man versuche einmal, aus der Höhle des Schlafes hinauszukriechen zu den nächtlichen Schreien und Angstattacken eines untröstlichen Sechzehn-Kilo-Bündels aus Ratlosigkeit und Zorn, oder sie im Kindergarten abzusetzen, als alleinerziehender Vater auf dem Weg zu einer geistlosen, seelenabtötenden Arbeit, aber sie läßt einfach den Türgriff nicht los, da helfen keine Witzchen und kein gutes Zureden, und neben dem Auto lassen Kindergärtnerinnen und mitleidige Mütter die Köpfe hängen wie am Ast verdorrte Früchte. Ein mutterloser Teenager. Tierwater hatte sein Leben dafür eingesetzt, das gutzumachen – oder wenigstens zu lindern, zu bandagieren, die Wunde zu küssen, um sie heilen zu lassen –, das konnte ihm niemand absprechen. Nicht Richter Duermer und das Kinderschutzprogramm von Josephine County, nicht einmal der Oberste Gerichtshof.
Die Tatsachen aber lagen so: er saß in Los Angeles, halb erdrückt von einem üblen Blues aus Hitze und Smog und multikulturellem Schweiß, und sie saß in Oregon, wo die Bäume in den Himmel wuchsen und die Luft kühl und würzig war – in Oregon im Knast. Oder einer Jugendstrafanstalt. Alles dasselbe. Er durfte sie nicht besuchen, durfte ihr nicht schreiben, ja nicht einmal telefonieren ließen sie ihn mit ihr – weil er einen zu schlechten, zu verderbten Einfluß auf sie hatte. Er war ein Ungeheuer. Ein Verbrecher. Ein Freak. Dreieinhalb Wochen waren vergangen, und er hatte nichts getan, als auf der Couch zu liegen und an die Decke zu starren. Er wollte in Oregon sein, nahe bei ihr, nur um auf dem gleichen Boden zu gehen, die gleiche Luft zu atmen wie sie, aber davon wollte sein Anwalt Fred nichts wissen. Das würde mehr schaden als nützen, behauptete er. Halt dich da raus. Komm nicht mal in die Nähe der Staatsgrenze, außer wenn du vorgeladen wirst – denk nicht mal im Traum dran. Und keine Angst: wir werden Sierra in Andreas Obhut überstellen lassen, kein Problem – egal, was mit dir passiert.
Traurig, aber wahr: seit er sich gegen Kaution auf freiem Fuß befand, war er nur einmal nach Oregon gefahren – die Küste rauf und wieder runter in achtundvierzig Stunden, gemeinsam mit Andrea und Fred, zu einer Anhörung durch den Richter, bei der es um den Entzug des Sorgerechts ging:
Richter Duermer (Dreifachkinn, in seiner Robe
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