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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Regen. Ein unidentifiziertes Flugobjekt schlägt krachend gegen die Hauswand, ein dumpf nachhallendes Dröhnen, das die fleischfarbenen Figuren in der Vitrine zum Klirren bringt (jedes der Gästezimmer ist im Stil einer Ära der Rock-Geschichte dekoriert – wir schlafen im Grunge Room, komplett mit Nachbildungen von Nirvana, Soundgarden und Pearl Jam in voller Aktion, außerden hängt eine gerahmte Locke von Kurt Cobains Haar über der Bildunterschrift Eine Locke von Kurt Cobains Haar ). Der reinste Wahnsinn. Wie soll ich dabei schlafen? Wie kann irgendwer dabei schlafen? Wie schaffen das Andrea, April Wind, Mac, Chuy, Al & Al?
    Oder noch wichtiger: wie schaffen es die Tiere? Ich geb’s ja zu, ich mache mir wirklich Sorgen um sie, oder wieder jedenfalls, weil das nun mal so ist mit der Schlaflosigkeit – das Gehirn ist ein gewissenhaftes Organ und wartet stets mit etwas Neuem auf, um den unvermeidlichen Sendeschluß hinauszuschieben. Plötzlich ist es sehr still, zwischen zwei Atemzügen von Andrea treibt der Wind kurz den Regen ab, und ich schwöre, ich kann zwei Etagen unter mir einen der Löwen husten hören. Das bilde ich mir nicht ein – da ist es schon wieder. Klingt, als ob’s Amaryllis wär. Ich kann sie mir da unten vorstellen, wie sie ihr neues Quartier erkunden, Wände markieren, Möbel ausweiden, Teppiche zerfetzen, es sich gemütlich machen.
    Das Erstaunliche ist, daß niemand verletzt wurde.
    Die vielen Klauen, die vielen Zähne, Hunderte Kilo von Ungestüm und Widerspenstigkeit, dazu der Wind, der zum Tornado wurde, das Wasser hüfthoch, die Strömung bereits beträchtlich, und ich mit meinen fünfundsiebzig Jahren und dem schlimmen Knie, einem kaputten Rücken, einem angenagten Arm und niemandem, der mir hilft, außer Chuy und fünf Zwangsverpflichteten: es war das Rezept für eine Katastrophe. Ich brauchte nicht April Wind, ich brauchte die Marineinfanterie. Aber Chuy, der schwerlich als Genie durchgehen kann, vor allem weil das Pestizid ihm offenbar die meisten seiner kognitiven Fähigkeiten storniert hat, der war die Rettung. Das war er wirklich. Er meisterte das Problem, kein Zweifel. Denn seine Idee, die Raubkatzen (und letztlich auch Lily und Petunia) aneinanderzuleinen und zu zwingen, sich schwimmend in Sicherheit zu bringen – so lächerlich sie zunächst erschien –, war letzten Endes die perfekte Lösung. Während Mac und die Frauen damit beschäftigt waren, den Schmutzgeiern Kapuzen anzulegen und die Honigdachse in ihre Transportkäfige zu schubsen, schloß ich das Tor im Maschendrahtzaun auf und betrat das Löwengehege, dicht neben mir Chuy mit einem eingerollten Seil. Al & Al saßen im Olfputt, ließen ihre Muskeln spielen und blickten ängstlich drein: sie wollten mit der Sache nichts zu tun haben, und wer konnte ihnen das verübeln?
    Betäubungspfeile für die Tiere fand ich noch nie gut. Zu riskant. Wir verwendeten eine Mischung aus Telezol und Xylazin, und es wirkte wie ein Zauber – wenn die Dosierung stimmte. Nahm man zuviel, hatte man einen Kadaver am Hals, und bei zuwenig riskierte man, selbst zu einem zu werden. Ich hatte das Zeug so gut dosiert, wie ich unter den Umständen konnte (Streß, Überschwemmung, aufgeregte Frauen und ein hysterischer Mac, überschwemmte Küche, schwimmende Tische, solche Dinge eben), und wollte für den Anfang nur die Hälfte nehmen – damit sie ein bißchen groggy würden, aber nicht zuviel, so daß sie nicht mehr hinter dem Olfputt herschwimmen und den Weg durch die offene Kellertür finden konnten, wo sie ein trockenes Quartier mit etwas eilig ausgestreutem Stroh sowie der Kadaver eines frisch ertrunkenen Emus erwarteten.
    Das Wasser war hüfthoch – hab ich das schon erwähnt? – und rauschte mit beachtlichem Tempo vorbei. Dazu kamen die verdammten Wanderwelse, die als kleine schleimige Geschenkpakete praktisch auf jeder horizontalen Fläche herumkrochen. Und wie fühlten sich die Löwen dabei? Sie waren sauer. Eindeutig sauer. Sie hatten Hunger, waren müde und zu Tode erschöpft von der Nässe und der Kälte und davon, ständig von Fischen bekrabbelt zu werden, die eigentlich keinerlei Recht hatten, in dieser Umwelt zu existieren. Dandelion fixierte uns mit seinen hellbraunen Augen und stieß von seinem Platz auf dem Löwenhaus ein markerschütterndes Gebrüll aus.
    »Na schön, Chuy«, sagte ich, »ich verpasse Dandy erst mal eine, und wenn du ihn auf die Hinterbeine niedersinken siehst, schmeißt du ihm das Seil über. Das Lasso,

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