Ein Freund der Erde
Schlafsack steckte, war es ihm praktisch unmöglich, seine Hände von ihr zu lassen und so wortlos sein Begehren zu zeigen – und sie hatte offenkundig das gleiche Problem wie er. Sie zog ihn an sich. Sie küßten sich, lange und innig, und dann, keuchend und erhitzt, zwangen sie sich wieder auseinander. Sie lagen unter dem Stoff der Zeltbahn und kämpften um Selbstbeherrschung – »Aber wir können doch ein bißchen rummachen, oder? Vielleicht nur eine kleine Weile?« –, lauschten dem Wasser, das von den Bäumen tropfte, während das Feuer draußen sich in die Glut verkroch, und die Stille, das Marihuana, die Elektrizität ihrer Körper, alles zusammen ließ die Dinge aus dem Ruder laufen. Sie hatten Grizzlys bisher weder gesehen noch gehört, noch Spuren gesichtet, Losung gefunden oder ausgehöhlte Baumstümpfe entdeckt. Also riskierten sie’s. Sie konnten nicht anders. Und es war um so intensiver wegen der Gefahr – der gebrochene Vorsatz, der Kitzel dabei –, und als es vorbei war, überwanden sie sich, stiegen aus dem Schlafsack und folgten dem Strahl der Taschenlampe zum Teich, wo sie sich in die eisige Umarmung des Wassers begaben, um ihre Körper mit geruchloser Seife abzuschrubben, bis ihnen die Zähne klapperten und die Lippen blau wurden.
Tierwater mampfte weiter seine kautabakartigen Pfannkuchen, in seinem Haar sammelten sich Regenatome, und er starrte in den Baldachin der Bäume empor, öffnete sich völlig dem Erlebnis. Er fühlte sich gesegnet, reich beschenkt und – er war damals erst neunundzwanzig, deswegen muß man ihm vergeben – nahezu unverwundbar. Als Jane aufschrie, lachte er beinahe, so komisch war die Situation. »Oh!« rief sie, das war alles – nur »Oh!« –, als wäre sie im Dunkeln erschrocken oder aus dem Bett gefallen. Nicht etwa »Oh, verdammt« oder »Oh, Scheiße«, nur »Oh«. Jane fluchte nicht, brachte es nicht über sich, und obwohl sie alle beide so taten, als wären sie hart und mit allen Wassern gewaschen, weil man eben so war, obwohl sie unzählige Chillums voll mit Unmengen von Gras geraucht und sich in dunklen, überheizten Discos und auf wüsten Open-air-Konzerten die Lungen heiser gebrüllt hatten, war Jane doch im Kern das brave Mädchen aus der Kleinstadt. Tierwater dachte immer, wenn sie ihn nicht kennengelernt hätte, wäre sie sicher die Sorte Frau geworden, die im Elternbeirat saß und mit Schleierhütchen und weißen Handschuhen zur Kirche ging. Und das gefiel ihm, das liebte er so an ihr. Die Welt war voll von Obszönität, voll von knallharten Typen, Antichristen und Spinnern – das brauchte er nicht. Nicht zu Hause. Nicht bei seiner Frau.
»Oh!« rief sie und sprang hoch, als ob sie etwas gestochen hätte. Von wegen als ob – denn genau das war geschehen. Eine Biene hatte sie gestochen. Nein, keine Biene – eine Faltenwespe, Vespula maculifrons , einer der gelbschwarz gestreiften Brummer, die landläufig als »Fleischbienen« bekannt waren, wegen ihrer Vorliebe für Hamburger, Steaks und Koteletts frisch vom Grill. Ganz zu schweigen von Aas.
Es war beinahe komisch. Ein Wespenstich. Das Unglaubliche daran war, daß Jane ihr gesamtes Leben, volle fünfundzwanzig Jahre, hinter sich gebracht hatte, ohne je gestochen worden zu sein – ihre Mutter konnte sich jedenfalls nicht erinnern. Deshalb war es gar nicht komisch, bedeutete nicht die kleine Unannehmlichkeit, die es für neunundneunzig Prozent der Menschheit bedeutete, für die nichtallergischen und resistenten Glückspilze. Für sie aber bedeutete es den Tod, nicht mehr und nicht weniger. Auch wenn dies Tierwater, der noch vollkommen versunken war in das Glück des naturnahen Daseins und ins Kauen seiner mittelschwarzen Buchweizenfladen, nicht gleich klar war. Er stand auf, selbstverständlich, stellte den Blechteller ab und ging zu ihr, das Feuer qualmte, die Bäume tropften, die erschlagene Wespe lag rücklings auf der Erde und strampelte mit den sechs moribunden Beinchen, als wollte sie auch in Zukunft noch stechen.
Jane war knallrot im Gesicht. Ihre Augen sanken tief in die Höhlen und sprangen ihm entgegen wie zwei harte schwarze Bälle. Sie zwinkerte unkontrolliert. Rang heftig nach Atem. All das, und er begriff immer noch nicht, hatte keine Ahnung, nicht einmal eine vage Vorstellung davon, daß in diesem Moment alles, was er als sein bisheriges Leben kannte, den Bach hinunterging. »Was ist denn?« fragte er und schlug einen scherzhaften Ton an. »Ein Bienenstich? Oder was?«
Sie
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