Ein Freund der Erde
–, aber perverserweise, vielleicht weil es im Lauf der letzten paar Tage in meiner gesetzten, begrenzten Sphäre derart radikale Veränderungen gegeben hat, tauchten aus den aufgespürten Gedanken immer neue auf, so daß ich von den Besonderheiten der Schnarchgeräusche Andreas zu denen meiner Mutter geriet, wenn sie auf dem Sofa einschlief, die Steppdecke bis zum Kinn hochgezogen, den wäßrig gewordenen Drink noch in der Hand, von dort zu dem Licht, das in unserem Haus in Peterskill durchs Küchenfenster fiel, und weiter zu Anthony’s Nose und dem Dunderberg und wie sich damals alle Wanderer auf dem Appalachian Trail die Lyme-Arthritis holten, bis ich irgendwann über jene neue Sorte von Naturfreunden sinnierte, die ihre Fernsehgeräte überallhin mitnehmen, weil die Wirklichkeit ihnen einfach nichts mehr bietet. Einmal beim Fernsehen angelangt, dachte ich an meine Kindheit vor der Glotze, und ehe ich mich’s versah, rekapitulierte ich das gesamte Programm der Sender CBS, NBC und ABC für eine bestimmte Woche im Jahr 1959 oder so. So war ich auf einmal bei Ronald Reagan. Ich ging die Wochentage durch wie Perlen auf einer Schnur, bis zum Samstag und dem Westernhelden Paladin, dann der Sonntag, die Ed Sullivan Show , von acht bis neun, gefolgt von der Show The General Electric Theater , die präsentiert wurde vom späteren Gouverneur Kaliforniens und vierzigsten Präsidenten der Vereinigten Staaten.
Meine Schulbücher rings um mich verstreut, legte ich mich auf den Läufer, der nach Teppichschaum roch, und sah mir die Jongleure, Komiker und tanzenden Pferde an, die Sullivans reichlich fade Sendung bevölkerten, und dann, wenn ich bettelte und flehte, durfte ich noch eine halbe Stunde länger aufbleiben, um mir das Theater danach anzusehen, einfach weil alles mehr Spaß machte, als ins Bett zu gehen. Und da war er: Ronald Reagan. Ich war damals neun und hatte keine Ahnung, wer das war – Bedtime for Bonzo, Höllenhunde des Pazifik und all die anderen Filme kannte ich noch nicht. Ich sah ihn nur da stehen, anonym und nichtssagend, auffallend nur die erstaunlich glänzende Haarroulade, die er an den Kopf geklatscht trug, und das Motto des Konzerns, für den er den Hampelmann spielte: Unser wichtigstes Produkt heißt Fortschritt. Klar. Sicher doch. Klingt ja ganz sinnvoll, oder? Wir schreiten voran, erobern und entdecken und entwickeln – Stecker rein, Regler rauf –, und das Leben wird immer besser. Und das Haus, das sie für ihn und seine Frau in Pacific Palisades bauen ließen? Gegensprechanlage in jedem Zimmer, automatische Gardinenzuzieher, Elektrogrill und Elektroheckenschere, drei Fernseher, zwei Herde, drei Kühlschränke, zwei Tiefkühltruhen, Wärmestrahler, Überwachungskameras, Waschmaschinen, Trockner, ein einrollbares Markisendach fürs Essen im Freien. Das war Fortschritt. Ebenso wie den Privatisierungsfan und Umweltmuffel James Watt zum Innenminister zu ernennen.
In meinen Därmen grummelt es: Gasbildung, das wird’s sein. Wenn ich vollkommen still liege, kann sich der Furz durch die zahllosen verschlungenen Windungen und Krümmungen da unten arbeiten und den unvermeidlichen Weg zum Ausgang suchen. Aber was denke ich da? Das ist Methangas, ein natürliches Umweltgift, das gleiche Zeug steigt von Müllkippen, faulenden Nahrungsbergen und Termitenhügeln auf und verbleibt dann zehn Jahre lang in der Atmosphäre, noch ein Furzvoll für den Treibhauseffekt. Ich bin ein Schwein, und ich weiß es. Jüdische Schuldgefühle, katholische Schuldgefühle, umwelt-öko-antikapitalistische Schuldgefühle: ich kann nicht mal in Frieden einen fahren lassen. Natürlich sind Schuldgefühle an sich schon Luxus. Im Gefängnis damals haben wir uns nicht gerade übermäßig um die Umweltzerstörung oder die Rechte der Natur gekümmert – oder auch um sonst irgendwas. Sie pferchten uns zusammen wie die Tiere, und wir schissen und pißten und wichsten und bliesen wahre Hurrikans aus unseren Därmen, und wenn die Welt deshalb zusammengebrochen wäre, um so besser: wenigstens hätten sie uns dann rausgelassen.
Zwischen den Böen legt der Regen an Lautstärke zu, und ich höre zu, wie er geduldig die festgezurrten Dachziegel erodiert (vor zwei Jahren hat Mac ein Stahlmaschennetz über das gesamte Dach schweißen lassen, und bisher hält es stand – hier stehen keine Eimer). Sssssss , zischt der Regen, wie Bratfett in der Pfanne. Andrea schnaubt, murmelt ein paar unverständliche Silben, wälzt sich herum. Noch mehr
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