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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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meine ich. Du kannst doch damit umgehen, oder?«
    » Sí , Mr. Ty, kann ich machen, no hay problema .« (Unter seinen vielen früheren Tätigkeiten hatte Chuy »Zureiter« und »Vaquero« aufgeführt. Mit Mitte Zwanzig, bevor er nach Norden kam, hatte er bei einem mexikanischen Rodeo gearbeitet und terneros gefesselt, was immer das waren – Kälber, glaube ich.) »Nix Sorge«, sagte er jetzt und grinste aus der nassen Maske seines Gesichtes. Der Wind kreischte und knallte mir die Kapuze gegen meine ausgeleierten Altmännerohren, und dazu hörte ich Lily in der Ferne Harmonien heulen: Uuuh-hup, uuuh-hup!
    »Und wenn die anderen zwei auf uns losgehen, dann werd ich sie nicht gleich betäuben, sondern wir gehen einfach rückwärts aus dem Käfig raus und schließen die Tür, okay? So scharf aufs Naßwerden sind sie nicht, also halten sie vermutlich still...«
    »Das denke ich mir también , Mr. Ty«, sagte Chuy und watete mit kräftigen Schritten vorwärts, bis er sieben Meter vom Tor und vielleicht zehn von den Löwen entfernt war. Und jetzt brüllten sie, alle drei, die Ohren flach angelegt, die Lefzen hochgezogen, die Schweife rastlos zuckend und mit den Blicken Chuy fixierend, der im Wind und dem peitschenden Regen das Lasso über dem Kopf schwang. »Yippie!« schrie er. »Yippie-yeah-ky-yay!«
    Ich war besorgt, das gebe ich zu. Ich bin ein Sorgenbündel und im Herzen ein Zyniker, immer gewesen – jedenfalls seit Earth Forever! in mein Leben trat. Oder sogar davor schon, als diese beschissene kleine zentimetergroße Wespe, die nicht viel mehr als ein Gramm gewogen haben kann, mir einfach Jane wegnahm, und zwar für immer. Ich rechne stets mit dem Schlimmsten, und ich muß sagen, meine Erwartungen sind immer über Gebühr erfüllt worden im Lauf der fünfundsiebzig Jahre voller Scheißgewitter und Pechsträhnen, die bis jetzt mein Leben ausgemacht haben. Bestenfalls erwartete ich mir drei ersoffene Löwen; und schlimmstenfalls sah ich Chuy mit abgetrennten Gliedmaßen vor mir und mich mit derart umarrangierten Gedärmen, daß ich in der Notaufnahme echte Betroffenheit ausgelöst hätte. Und deshalb trug ich neben der Betäubungspistole auch die Nitro Express von Philip Ratchiss über der Schulter.
    Meine Hände bebten (vom Alter, der Schüttellähmung, dem Sake-Zitterich, unverhülltem Entsetzen – oder allem zusammen), als ich zu zielen versuchte, und der erste Pfeil schnellte los wie ein Marschflugkörper, flog hoch über die Löwen hinweg, aus dem Gehege hinaus und in das dichte Gewebe des windgepeitschten Himmels. Die Löwen brüllten. Chuy stieß Yippierufe und Juchzer aus und ließ das Lasso weiter kreisen. Ich nahm meine Bifokalbrille ab und wischte sie an dem Tuch in meiner Brusttasche trocken, so ziemlich das einzige an mir, das nicht klatschnaß war, dann legte ich für einen zweiten Schuß an, während mir das Wasser von der Nasenspitze troff wie ein Gebirgsquell, meine Finger langsam taub wurden und die Welse mir die Hosenbeine hochkrochen, und drückte ab, voller Verzweiflung, Enttäuschung und etwas, was viel mit Haß zu tun hatte – Haß auf die Tiere, auf Mac, auf den US-Wetterdienst und all die Verschmutzer und Verwüster und Industriebonzen, die Chuy und mich und die Löwen bis zu diesem absurden, demütigenden Moment in der Geschichte der Beziehungen zwischen Mensch und Tier getrieben hatten.
    Es gab ein Geräusch wie der siegreiche Wurf in einer Kissenschlacht – ein leises Fummp! –, und da war er, der Betäubungspfeil, er hing von Dandelions Flanke herab wie – tja, wie eine fette Wespe. Er drehte sich um und schnappte danach, wirbelte zwei-, dreimal im Kreis, stieß ein eher verdutztes als zorniges Fauchen aus, und dabei schubste er versehentlich Amaryllis vom Dach herunter und in den kalten Strudel des schlammigen Wassers. Das gefiel ihr nicht. Ganz und gar nicht. Erfreulicherweise aber ließ sie ihr Mißvergnügen nicht an Chuy – oder mir – aus, sondern kraxelte statt dessen zurück auf das Dach und versetzte Dandy einen Prankenhieb, der jedem Zebra oder Weißschwanzgnu das Rückgrat gebrochen hätte (falls es diese Arten noch gäbe), bei ihm jedoch nur der Wirkung des Medikaments nachhalf und ihn einknicken ließ. Und nun kamen Chuys Lassofertigkeiten ins Spiel. Er war ein Meister, keine Frage: das Seil sauste davon, wurde vom Wind erfaßt und in einer elliptischen Flugbahn bis haargenau über Dandys Kopf getragen, wo es leicht wie eine Schneeflocke herabsegelte.
    Der Rest war

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