Ein frivoler Plan
vertrauen.
Der Mann war ein richtiger Bluthund und konnte alle Hintergründe von Paines so verschiedenartiger Klientel erschnüffeln. Kein Kredit wurde ausgeweitet, kein Handel beschlossen, ohne dass Flaherty ihn abgesegnet hatte. Die Fähigkeiten des Mannes als Ermittler hatten Paine ein kleines Vermögen erspart. An diesem Abend hoffte Paine, dass Flaherty ihm Informationen über Oswalt und dessen Suche nach Julia mitbrachte.
„Definitiv sucht der Mann nach ihr“, sagte Flaherty und nahm auf einem Stuhl in Paines Büro Platz. „Oswalt hat seine Männer überall. Die drei Poststationen, die ich aufsuchte, berichteten, dass gestern früh schon andere nach demselben Mädchen gefragt hatten. Die gute Nachricht besteht darin, dass er erst heute Abend begonnen hat, Spielhallen und andere Etablissements abzusuchen. Das heißt, er hat keine konkreten Informationen und tappt im Dunkeln“, berichtete Flaherty.
Paine nickte. Das hatte er erwartet, doch es war gut, diese Vermutungen bestätigt zu bekommen. „Und der Onkel?“
Flaherty schüttelte den Kopf. „Daran arbeite ich noch. Schwer zu sagen. Oswalt hat den Onkel besucht, aber soweit ich weiß, hat Lockhart selbst das Mädchen nicht gesucht, abgesehen von einer Erkundigung bei den Farradays.“
„Wenigstens dafür sei Gott gedankt.“ Paine seufzte. Sie konnten alles Glück gebrauchen, das sie bekommen konnten. Er hatte gehofft, Julias Onkel besäße genügend Menschenverstand, um über ihr Verschwinden Stillschweigen zu bewahren, und wie es schien, hatte er das getan. Wenn niemand etwas von ihrem Verschwinden ahnte, wäre es weitaus leichter für ihre Familie, das zu verheimlichen. Ihr Onkel könnte es mit einer glaubhaften Geschichte erklären, vielleicht sogar mit Paines Geschichte, dass er und Julia sich auf den ersten Blick ineinander verliebt hatten. Wie die Dinge derzeit standen, wussten bisher nur Julias Familie und Oswalt, dass sie fort war.
So war es Paine auch lieber. „Kann ich dem Onkel vertrauen?“, überlegte Paine laut. Bisher hatte der Mann sich überraschend diskret gezeigt. Vielleicht hatte er Barnaby Lockhart voreilig verurteilt. Er dachte daran, ihn aufzusuchen und ihm zu sagen, dass sich Julia in Sicherheit befand, und – noch ein guter Grund für einen Besuch – er wollte ihm helfen, eine gute Erklärung für Julias Verschwinden zu finden. Es wäre nicht schwer, eine kranke Verwandte Julias auf dem Land zu erfinden und sich an die Version zu halten, dass sie beide sich dort zum ersten Mal begegnet wären – unter den aufmerksamen Blicken der Anstandsdamen natürlich. Dann wäre bei ihrer Wiederbegegnung in London die Romanze zwischen ihnen erblüht, und er hätte ihr von da an den Hof gemacht.
Wenn es irgendwie möglich war, wollte Paine an diesem Alibi mitarbeiten. Julias Situation erforderte vollste Konzentration, wenn man einen skandalösen Fehler vermeiden wollte. Das durfte keinem Amateur überlassen werden.
Bisher war das Glück auf seiner Seite gewesen. Der Onkel hatte keinen Aufstand verursacht. Aber sein Schweigen würde nicht lange währen. Selbst wenn Lockhart nichts sagte, würden die Leute nach Julia fragen. Wie jede umschwärmte Debütantin war sie zu vielen Veranstaltungen eingeladen worden. Wenn sie nicht weiterhin dort auftauchte, würden die Leute sie vermissen, und ihr Onkel müsste Erklärungen abgeben. Paine wollte ein Alibi bereitstellen, ehe das geschah.
So gerne Paine Onkel Barnaby auch besuchen wollte, er fürchtete, Oswalt hätte ihn zu sehr in der Hand, als dass er ein Geheimnis wahren könnte. Er konnte nicht das Risiko eingehen, Oswalts Handlangern in einem ungleichen Kampf gegenüberzustehen. Er konnte sich nicht der Erkenntnis entziehen, dass er der Einzige war, der Julia vor Oswalt schützen konnte. Wenn er fiel, würde Julia der Gnade dieses Mannes ausgeliefert sein.
Flaherty bestätigte seine Befürchtungen. „Nein, der Onkel steht unter zu großem Druck. Er sieht in Oswalt seinen einzigen Ausweg aus der Last seiner Schulden. Jetzt schon verhandelt Oswalt wegen der Rückkehr des Mädchens. Er sagt, er würde sie trotzdem heiraten, wenn sie gefunden ist, aber er würde weniger bezahlen als die eigentlich versprochene Summe. Wenn sie nicht wieder auftaucht, wird er das zurückverlangen, was er schon gezahlt hat.“
Paine runzelte die Stirn, als er von diesem neuen Handel hörte, der sich zwischen dem Onkel und Oswalt anbahnte, und rasch versuchte er, die neuen Informationen zu verarbeiten.
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