Ein ganz besonderer Sommer
inzwischen im polnischen Teil Ostpreußens eine Reihe sehr schöner Hotels in Verbindung mit Reiterhöfen. Da kann man in Ruhe ausspannen und von dort aus Exkursionen in alle Richtungen unternehmen, um das Land kennen zu lernen - und man kann natürlich wunderbare Ausritte machen. Die meisten Hotels haben einen Swimmingpool oder einen Badesee in der Nähe, oder man kann an die Ostsee fahren. Für jeden gibt es also die richtige Mischung aus Erholung und Bildung. Ich habe mir gedacht, ich schicke euch beide auf eine solche Reise. Drei Wochen Ostpreußen. Das ist mein Abiturgeschenk für dich Bille, und meine Erholungsverordnung für dich, Olga.“
„Paul!“ Mutschs Lippen zitterten. Unfähig, etwas zu sagen, griff sie nach seiner Hand und drückte sie heftig.
„Keinen Widerspruch!“, polterte Onkel Paul. „Die Sache ist beschlossen und organisiert. In vier Wochen könnt ihr starten.“
Mutsch kicherte. „Von wegen Widerspruch! Du ahnst gar nicht, wie sehr ich mich darauf freue! Du bist doch wirklich . . .“
„. . . der fabelhafteste Ehemann der Welt, ich weiß“, vollendete Onkel Paul den Satz. „Und du bist und bleibst mein bestes Stück, Olga, das ich noch lange behalten möchte. Also sieh zu, dass du in der guten ostpreußischen Luft wieder zu Kräften kommst!“
„Das verspreche ich dir!“ Mutschs Stimme klang jubelnd wie die eines Teenagers. Sie wandte sich lebhaft zu Bille um. Sanft boxte sie sie in den Arm. „Na, und du? Sagst du denn gar nichts?“
Bille hatte völlig geistesabwesend vor sich hin gestarrt. Vor ihrem inneren Auge lief ein Film ab, den sie sich seit ihrer Kindheit immer wieder ausgemalt hatte. Eigentlich wusste sie wenig über Ostpreußen. Die Fotoalben mit den vergilbten Aufnahmen des Bauernhofs, seiner Bewohner und seiner Umgebung kannte sie auswendig, sie hatte sie oft betrachtet und sich das Leben dort vorgestellt. Die Erzählungen der Mutter darüber, wie es in ihrer Kindheit zugegangen war, hatte sie sich endlos in allen Einzelheiten wiederholen lassen. Vor allem natürlich das, was mit Pferden zu tun gehabt hatte. Doch Mutsch war damals noch ein sehr kleines Mädchen gewesen, und was sie wusste, stammte überwiegend aus den Erzählungen der Großeltern. Die Geschehnisse im Krieg und bei der Flucht hatten dabei immer die größte Rolle gespielt. Wie es heute dort aussah, darüber wusste sie fast nichts. Nur, dass man im ehemaligen Ostpreußen die Trakehnerzucht fortgeführt hatte und dass es gute Pferde in Polen gab. Aber sonst?
„Entschuldigt.“ Bille kehrte nur mit Mühe aus ihren Träumereien zurück. „Ich bin total von den Socken! Das ist einfach fantastisch, Onkel Paul! Ich kann’s noch gar nicht glauben.“ Lachend schüttelte sie den Kopf.
Onkel Paul griff in eine Tüte, die er bisher unter seinem Stuhl verborgen hatte. „Hier, damit du dich ein bisschen darauf vorbereiten kannst, habe ich eine Reihe von Büchern und Prospekten besorgt. Zu Hause kannst du in Ruhe deine Nase hineinstecken. Jetzt wollen wir erst mal feiern. Ich will nicht hoffen, dass meine Überraschung euch den Appetit verdorben hat.“
„Bestimmt nicht, im Gegenteil!“, versicherte Bille lachend.
„Und schlimmstenfalls kann ich auch doppelte Portionen verdrücken.“ Simon warf einen Blick auf den Nachbartisch, an dem gerade das Hauptgericht serviert wurde. „Vor allem, wenn so hervorragend gekocht wird.“
Wie aufs Stichwort erschien der Kellner mit ihren Vorspeisen. Onkel Paul bestellte Wein zum Essen, dann wandten sich alle mit Begeisterung den appetitlich angerichteten Speisen zu. Für eine Weile herrschte Schweigen am Tisch.
„In welcher Sprache verständigt man sich in Polen eigentlich am besten?“, fragte Mutsch nach einer Weile in die Runde.
„Ich glaube, es gibt noch einige Leute, die Deutsch verstehen“, erinnerte sich Simon an ein Gespräch, das er kürzlich mit einem polnischen Ehepaar geführt hatte. Die beiden kamen regelmäßig nach Deutschland, um als Restauratoren Kunstwerke in alten Kirchen und Schlössern in Stand zu setzen. „In der Schule ist Englisch Pflichtfach . . . und Französisch, glaube ich.“
„Na, irgendwie werden wir das schon schaffen, Mutsch“, beruhigte Bille die Mutter. „Im Hotel müssen sie ja auf deutsche Gäste eingestellt sein. Und im Übrigen: Pferdeleute verstehen sich immer.“
Simon legte den Bissen, den er gerade auf die Gabel genommen hatte, zurück auf den Teller und sah Bille streng an. „Und dass du dich ja nicht
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