Ein ganz schoen starker Plan
hatte und nicht von Bürste geschickt worden war.
»Ich soll nur von meinem Vater grüßen und sagen, dass es morgen gut geht«, erzählte ich.
»Das ist schön. Ist das alles?«
»Er wollte nur wissen, ob er auch anrufen kann.«
Die Rektorin schlug die Arme übereinander.
»Ich muss ihn doch kurz herbitten.«
Mit dieser Antwort hatte ich gerechnet.
»Okay, aber dann wird er sicher noch deprimierter.«
»Das musst du mir erklären.«
Die Rektorin gab sich niemals leicht geschlagen, aber ich hatte schon eine Erklärung parat. Das Gespräch mit Rolf hatte mich auf die Idee gebracht. Niemand spricht gern über Probleme mit dem Unterleib. Je weniger Fragen ich beantworten müsste, umso leichter würde mir das Lügen fallen. Ich holte Luft, als ob mir das, was jetzt kam, wahnsinnig peinlich wäre.
»Er tropft«, sagte ich ganz leise und starrte zu Boden.
»Was hast du gesagt? Er tropft?«
Ich schaute mich um, wie um mich davon zu überzeugen, dass niemand uns hören konnte.
»Er tropft ziemlich stark«, sagte ich und zeigte verstohlen auf meine Hose hinunter. »Ich sag ja dauernd, dass er zum Arzt gehen soll, aber er will nicht. Und jetzt will er nicht einmal mehr das Haus verlassen. Es hat wohl etwas mit dem Schließmuskel zu tun. Und es riecht so schlimm …«
»Hör auf! Ich will nicht mehr hören. Da muss er doch etwas unternehmen!«
Sie wechselte die Stimmlage, als ob sie keine Rektorin mehr wäre, sondern eine ganz normale Frau.
»Was soll ich denn tun? Ich bin ja nur ein Kind«, sagte ich und breitete hilflos die Arme aus.
»Gibt es keinen Freund oder eine Freundin, die ihm sagen könnten, dass er …«
Sie beendete den Satz nicht.
»Dass er tropft, meinen Sie? Wenn er nur eine Freundinhätte, die ihm sagen könnte, was er tun soll, aber keine Frau will doch einen Mann mit großen feuchten Flecken auf der Hose. Er ist ein bisschen wie ein Hund, er hinterlässt an allen möglichen und unmöglichen Stellen seinen Geruch. Nur macht er das eben durch die Hose. Jetzt trägt er neuerdings eine Badehose statt einer Unterhose …«
»Ich brauche nichts mehr zu hören.« Die Rektorin hob beide Handflächen, um mich zum Schweigen zu bringen.
Und nun setzte ich zum Gnadenstoß an. »Gestern hat er getropft, als wir beim Essen saßen.«
»Nein, das reicht jetzt, Håkon.«
»Auf unserem Sofa konnte man nicht mehr sitzen.«
»Ist schon gut, wir können das am Telefon besprechen.«
Ich atmete erleichtert auf. Sogar Rektorinnen konnten also ihre Meinung ändern. Jetzt galt es, eine Verabredung zu treffen.
»Er kann um zwei anrufen«, schlug ich schnell vor.
»Sorg du nur dafür, dass er das wirklich tut.«
»Natürlich macht er das. Das ist doch ein sehr wichtiges Gespräch für ihn.«
Die Rektorin verschwand wieder im Lehrerzimmer und ich atmete erleichtert auf. Erster Teil des Plans erledigt.
Aber jetzt musste ich jemanden finden, der anrief. Papa konnte das nicht tun. Die Einzige, der wir die Wahrheit gesagt hatten, war Isabell, aber ihre Stimme erinnerte eher an einen Spatz. Rolf hatte uns schon Geld geliehen und würde sicher stocksauer sein, wenn er die Wahrheit erfuhr.
Als ich an das Geld dachte, das wir geliehen hatten, kam mir die Idee. Ein Lehrer hatte uns erzählt, dass Dienstleistungen für Geld gekauft werden können. Wer kein Geld hat, hat ein Problem. Dann muss man arbeiten, stehlen oder betteln. Aber ich hatte ja Geld, als ziemlich dicke Rolle in meiner Hosentasche.
Nach der Schule lief ich direkt zum Imbisskiosk, aber nicht, um mich mit Essen vollzustopfen. Ich brauchte eine erwachsene Stimme – und die Männer vor dem Kiosk brauchten Geld.
»Hallo«, sagte ich zu den drei Kerlen mit windschiefen Gesichtern und steiferen Haaren als die, die Bürste auf dem Kopf hatte. Sie saßen auf einer Bank und musterten mich mit feuchten Blicken, als ob sie sich fragten, ob ich ein vergessener Sohn sein könnte.
Im tiefsten Herzen hatte ich immer Angst gehabt, Papa könnte so einer werden, der vor dem Imbiss herumlungert. Einer, der keine Arbeit und keine sauberen Kleider hat, aber immer eine Tüte voll Bierflaschen, und der sicher nie etwas anderes isst als das, was in einem Döner oder einem Kartoffelfladen steckt.
»Was willst du, Junge?«, fragte einer der Männer, der so viele Falten im Gesicht hatte, dass seine Haut aussah wie Rinde.
Die beiden anderen waren etwas jünger, hatten aber fast ebenso verschlissene Haut und schwarze Ränder unter den Nägeln. Ihre Hosen waren um
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