Ein ganz schoen starker Plan
unsicher.
»Ich werde meine Persönlichkeit nicht total ändern. Denn ich meine wirklich, dass jemand in eurem Leben klare Grenzen ziehen muss. Euch Pflichten und Aufgaben auferlegen, etwas davon tun, was euer Vater nicht schafft. Auch wenn das bedeutet, dass ich manchmal ein bisschen streng sein muss.«
Sie redete weiter, ziemlich lange, als ob sie nicht immer die strenge Großmutter sein wollte. Aber sie glaubte, wir würden ihr dankbar sein, wenn wir erst älter wären. Ich war mir da nicht sicher, begriff aber plötzlich besser, wer unsere Großmutter eigentlich war. Eigentlich war sie eine Art Ritter, der sich als Drache verkleidet hatte. Sie machte eine Arbeit, die sonst niemand tun wollte. Weder unsere Mutter noch unser Vater jedenfalls. Sie war eine Großmutter, die ihren Titel ernst nahm – sie war eine Große Mutter.
Wir saßen am Esstisch und hörten sie darüber reden, dass Großeltern ihre Enkelkinder eigentlich verwöhnen und ihnen alles erlauben sollten, was sie zu Hause nicht dürfen. Sie aber musste die alte Dame mit dem erhobenen Zeigefinger und der strengen Stimme spielen.
Ich hätte sie gern umarmt, aber das stinkende Kleid hielt mich davon ab. Wenn es einen richtigen Augenblick gab, um ihr zu erzählen, dass Papa verreist war, dann war der sicher jetzt. Aber weder Ida noch ich sagten etwas. Vielleicht standen wir unter Schock? Oder wir wollten ihr nicht noch mehr Probleme machen.
Wir redeten immer weiter, wie wir mit Oma noch nie gesprochen hatten. Als ob sie eine nette alte Dame wäre, der wir imEinkaufszentrum begegnet waren. Abgesehen davon, dass sie nicht gut roch, war das auf eine seltsame und neue Weise schön.
»Oh, mir ist ein bisschen schwindlig«, sagte sie nach einer Weile und griff sich an den Kopf
»Aber du willst deinen Geburtstag feiern, oder?«, fragte ich.
»Ja, das möchte ich gern«, sagte sie und nickte.
Zugleich blinzelte sie heftig und runzelte die Stirn. Sie legte sich eine Hand auf den Bauch.
»Möchtest du einen Schluck Wasser?«, fragte ich.
Sie nickte und ich füllte ein großes Glas. Sie trank, stellte das Glas aber plötzlich hin und musterte uns besorgt.
»Fühlst du dich nicht ganz wohl, Oma?«, fragte Ida.
Oma sprang auf, lief ins Badezimmer und knallte mit der Tür. Dann hörten wir Geräusche, die wir unmöglich missverstehen konnten. Sie stöhnte und würgte, erbrach sich und spuckte.
»Was war denn in der Tüte?«, fragte Ida.
»Alles Mögliche.«
»Zum Beispiel?«, fragte sie streng.
»Essen und noch andere Sachen.«
»Was für andere Sachen?«
»Nicht sehr viel, aber vielleicht so was, das aus Hunden rauskommt.«
»Hundekacke?«
»Sag das nicht so laut«, sagte ich und machte mit den Händen dämpfende Bewegungen. Wir hörten, wie der Inhalt von Omas Magen ins Klo platschte.
»Du Blödmann! Sie muss etwas davon verschluckt haben.«
»Das kann aber nicht sehr gesund sein«, sagte ich kleinlaut.
An diesem Samstag gab es keine Geburtstagsfeier. Der Drache wurde immer kränker und ich murmelte etwas davon, dass in der Schule gerade eine extrem ansteckende Magengrippe umging. Ida trat mir so hart gegen das Schienbein, dass ich es schon für gebrochen hielt. Nachdem Oma sich noch zweimal übergeben hatte, ging sie nach Hause. Ich musste alle Gäste anrufen und absagen. Und musste dabei noch nicht einmal lügen. Trotzdem krampfte sich mein Magen jedes Mal ein bisschen zusammen, wenn ich jemandem am anderen Ende erzählte, dass meine Oma zu krank sei, um ihren Geburtstag zu feiern. Ich erzählte zwar niemanden davon, aber die Ursache dieser Krankheit kannte ich ja nur zu gut. Ich versprach allen, dass sie später ein noch größeres und schöneres Fest veranstalten würde, und deutete an, dass sie vielleicht Zauberkünstler und männliche Stripper anheuern wollte. Danach malte ich Omas Inneres auf, um sie besser zu verstehen.
Dennoch wurde sie dadurch nicht ganz. Ich hatte immer noch nicht das Gefühl, alle Seiten des Drachen kennengelernt zu haben. Fast hatte ich schon ein schlechtes Gewissen, weil ich sie Drache nannte.
Der ganze Samstag war wie ein mieser Montagmorgen. Das Telefon klingelte und Isabell fragte, wie es uns denn ginge. Ida antwortete, »so mittelmäßig, oder vielleicht doch noch etwas schlechter«. Danach ging sie zu irgendwelchen Freundinnen und ich saß in der Wohnung und glotzte vor mich hin. Am liebsten wäre ich zu Fredrik gegangen, um Playstation zu spielen, aber ich wusste nicht, ob ich so etwas jetzt tun dürfte.
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