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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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niemand nahm es. Es roch nach vergilbten Ausgaben der Racing Post und Old Holborn, und es hätte das gesamte Wochenende gedauert, dort aufzuräumen. Und mich überfielen immer wieder Schuldgefühle – denn schließlich war all das meine Schuld –, und gleichzeitig war mir klar, dass ich nicht anbieten würde, wieder in die Abstellkammer zu ziehen. Sie war für mich zu einer Art Schreckenskammer geworden, dieser kleine, fensterlose Raum. Schon bei dem bloßen Gedanken daran, wieder dort zu schlafen, bekam ich Beklemmungen. Ich war siebenundzwanzig Jahre alt. Ich war der Hauptverdiener der Familie. Ich konnte nicht in einem Zimmer schlafen, das kaum größer war als ein Schrank.
    An einem Wochenende bot ich an, bei Patrick zu übernachten, und erntete Blicke voll heimlicher Erleichterung. Aber während ich weg war, betatschte Thomas mit seinen klebrigen Fingern meine neuen Jalousien und bemalte meinen neuen Bettüberwurf mit Filzstift, worauf meine Eltern beschlossen, es wäre besser, wenn sie in meinem Zimmer schliefen, während Treena und Thomas ihres nahmen, wo die eine oder andere Krakelei mit wasserfestem Filzstift anscheinend nicht so störte.
    Allerdings, so räumte Mum ein, brachten meine Übernachtungen freitags und samstags bei Pat nichts, wenn man all das Bettenumbeziehen und die Extrawäsche in Betracht zog.
    Und dann war da noch Patrick. Patrick war inzwischen vollkommen besessen. Er aß, trank, lebte und atmete nur noch für den Xtreme Viking. In seiner Wohnung, die normalerweise spärlich möbliert und makellos aufgeräumt war, hingen nun überall Trainingspläne und Merkblätter zur Ernährung. Er hatte ein neues Leichtmetallrad, das im Flur wohnte und das ich nicht berühren durfte, denn es konnte ja sein, dass ich seine penibel ausbalancierten Leichtgewicht-Rennradqualitäten durcheinanderbrachte.
    Und er war selten zu Hause, nicht einmal freitag- oder samstagabends. Durch sein Training und meine Arbeitszeiten verbrachten wir immer weniger Zeit zusammen. Ich konnte mit ins Stadion gehen und zusehen, wie er eine Runde nach der anderen lief, bis er sein Pensum erfüllt hatte, oder ich konnte zu Hause bleiben, mich allein in der Ecke seines riesigen Ledersofas zusammenrollen und fernsehen. Im Kühlschrank war nichts zu essen, abgesehen von ein paar Streifen Putenbrust und ekligen Energiedrinks, die so glibbrig waren wie Froschlaich. Treena und ich hatten das Zeug einmal probiert und es mit theatralischem Gekreische wieder ausgespuckt.
    Die Wahrheit aber lautete, dass ich Patricks Wohnung nicht mochte. Er hatte sie ein Jahr zuvor gekauft, als er endlich den Eindruck hatte, seine Mutter käme auch allein zurecht. Seine Firma lief gut, und er hatte mir erklärt, dass einer von uns beiden mal mit der ersten Eigentumswohnung anfangen musste. Ich schätze, das wäre der Moment gewesen, in dem wir übers Zusammenziehen hätten reden sollen, aber dazu war es irgendwie nicht gekommen, keiner von uns beiden bringt sonderlich gern heikle Themen zur Sprache. Das Ergebnis war jedenfalls, dass es in dieser Wohnung nichts gab, was mir gehörte, obwohl wir schon jahrelang zusammen waren. Ich hatte mich nie getraut, es ihm zu sagen, aber mir gefiel es zu Hause besser, mit all dem Lärm und dem Durcheinander, als in dieser seelenlosen, gesichtslosen Junggesellenwohnung mit ihrem dazugehörenden Einzelparkplatz und dem Blick auf die Burg.
    Abgesehen davon war es dort ein bisschen einsam.
    «Ich muss mich an den Trainingsplan halten, Babe», meinte er, wenn ich ihm das sagte. «Wenn ich in dieser Phase nicht täglich dreißig Meilen laufe, erreiche ich die Planziele nie mehr.» Und dann brachte er mich auf den neuesten Stand seines Schienbeinkantensyndroms oder bat mich, ihm das Spray zur Muskelentspannung zu reichen.
    Wenn er nicht trainierte, ging er zu endlosen Treffen mit den Mitgliedern seines Laufteams, bei denen sie ihre Ausrüstung verglichen und die Reise organisierten. Zwischen ihnen fühlte ich mich wie inmitten einer Gruppe Koreaner. Ich hatte keine Ahnung, worüber sie redeten, und auch keine besondere Lust, mich damit zu beschäftigen.
    Trotzdem sollte ich in sieben Wochen mit ihnen nach Norwegen fahren. Ich wusste noch nicht, wie ich Patrick beibringen sollte, dass ich die Traynors nicht um Urlaub gebeten hatte. Wie hätte ich das tun können? Wenn der Xtreme Viking stattfand, hatte ich nur noch eine Woche von meiner Vertragszeit übrig. Vermutlich war es kindisch, nicht mit Patrick zu reden, aber ehrlich

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