Ein gefährlicher Gentleman
jetzt ihre behandschuhte Hand genommen hätte, wäre selbst durch den Satin ihr rasender Puls spürbar gewesen.
Diese mädchenhafte Reaktion auf sein Erscheinen hätte sie eigentlich verwirren sollen. Aber sie war zu glücklich und genoss die Nähe seines männlichen Körpers. Er saß neben ihr auf dem Stuhl, der einst immer Colin vorbehalten gewesen war. Gerade so, als gehörte er dorthin. Und, was vielleicht noch wichtiger war, als habe sie ihn eingeladen.
Was sie nie getan hätte. Nicht wenn ihre Mutter und ihre Tante auch da waren. Sie hatte zudem keine Ahnung gehabt, dass Alice sich ihnen anschloss, was die Angelegenheit noch schlimmer machte. Wusste er, was er gerade tat? Es war schwierig genug, das lebhafte Interesse an einer Romanze herunterzuspielen, die von seiner Seite rein erotischer Natur war. Aber wenn er verspätet in der Oper auftauchte und sich in der Loge zu ihnen gesellte, war das … na ja! Mindestens leichtsinnig.
Jedenfalls war es das, wenn seine Absichten nicht ehrenhaft waren. Und das hatte er ja allzu deutlich gemacht.
»Was habe ich verpasst?«, fragte er und beugte sich zu ihr herüber. Er war ihr so nahe, sie konnte seinen Atem spüren, der ihre Wange streifte. »Lass mich raten. Es ist eine Tragödie, die sich gleich auf der Bühne entfaltet.«
»Du magst keine italienischen Dramen, schon vergessen?«, flüsterte sie zurück. Ihre Finger umklammerten das Opernglas.
»Ich habe zuletzt um deinetwillen einige Ausnahmen gemacht, meine Süße.«
Das Kosewort machte sie sprachlos, obwohl sie sich rasch ermahnte, dass seine charmante Art einen Teil seines Charismas ausmachte, das er als Fassade zur Schau stellte.
Wie viele der Anwesenden hatten wohl bemerkt, dass der Viscount Altea ihre Loge betreten hatte? Madeline hielt ihren Blick starr auf die Bühne gerichtet. Ganz leise murmelte sie: »Ich hoffe, die Stücke waren es wert.«
»Ich habe schon die eine oder andere Oper gesehen und überlebt.«
»Machst du das oft mit unverheirateten Ladys, ihren Müttern und den matronenhaften Tanten?«
»Eigentlich mache ich das nie.« Sein Profil zeichnete sich klar ab und wirkte edel und etwas arrogant. Ein leises Lächeln zuckte in seinem Mundwinkel.
»Warum bist du dann hier?«
»Ich weiß es nicht.«
»Ach je, das klingt so kryptisch. In der Zwischenzeit hast du unglaubliches Aufsehen erregt.«
»Weil ich in die Oper gehe?«
Sie bemühte sich um einen steifen Tonfall und imitierte Tante Ida. »Weil du dich uns öffentlich anschließt natürlich.«
»Wir haben uns schon öfter gemeinsam in der Öffentlichkeit gezeigt.«
»Das hier ist anders, und du weißt es. Meine Mutter und meine Tante sind hier.«
»Ja, das stimmt. Und?«
»Diese gespielte Unschuld steht dir nicht.«
»Geliebte Madge, was steht mir denn, deiner Meinung nach?« Er war ihr näher, als der Anstand erlaubte, und in seiner Stimme schwang etwas Neckendes mit.
Du lieber Himmel, er war so verdammt attraktiv, und das Versprechen, das sie in seinen sturmgrauen Augen las, konnte jede Frau verführen. Besonders eine, die ihm bereits verfallen war.
Sie flüsterten miteinander, und bestimmt versuchte ihre Mutter, sie über den Gesang der Arie zu belauschen. Ida runzelte missbilligend die Stirn, und Alice wirkte ungerührt wie immer.
»Was dir unter Umständen zusteht«, murmelte Madeline, »ist mein Glas mit lauwarmem Champagner, das ich dir über den Kopf schütte, wenn du nicht aufhörst, die Klatschweiber mit neuen Geschichten zu versorgen, Altea. Offenbar hat es nicht geklappt, Lord Fitch fernzuhalten, weshalb du mir nicht zu erzählen brauchst, es werde mir helfen, wenn man uns zusammen sieht, weil er nämlich noch immer …«
»Fitch wird dich nie wieder belästigen. Wir können später darüber reden.«
Sie verstummte. Er klang ziemlich sicher. Und sie vertraute ihm bedingungslos.
Wenn sie das nicht täte, würde sie sich nicht so unbändig darauf freuen, erneut mit ihm das Bett zu teilen. Sie fand es schwierig, in seiner Gegenwart einen klaren Gedanken zu fassen.
Die Arie schwoll an und schwang sich zu neuen Höhen auf. Die klaren Töne der Sopranistin waren fesselnd, aber sie konnte sich nicht darauf konzentrieren. Sie spürte nur den großen Mann neben sich.
Sie wusste, wenn sie später das Opernhaus verließen, wäre das schrecklich, weil ihre Mutter und Tante Ida mit ihr in derselben Kutsche hergekommen waren. Und wenn sie sich bei ihnen entschuldigte, wüssten die beiden, dass Luke sie heimbringen
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