Ein gefährlicher Gentleman
sich vor einer Aufgabe zu drücken; seiner Verantwortung als Viscount entzog er sich nicht, inzwischen war er auch das Familienoberhaupt. Aber seit seiner Rückkehr aus Spanien war er irgendwie … distanziert.
Er redete nicht darüber, aber irgendetwas war dort passiert. Und es hatte ihn verändert. Vielleicht war es bloß der Krieg selbst; es entzog sich ihrer Vorstellungskraft und ihrem Erfahrungsschatz, was im Krieg geschah, und sie konnte es nicht annähernd nachvollziehen, wie ein Mann sich so verändern konnte. Aber die Veränderung war unleugbar da.
Ihr fiel nicht ein, wie sie es besser beschreiben könnte. Wie fühlte man sich wohl, nachdem man ein halbes Jahrzehnt fern der Heimat verbracht hatte und so viel Blutvergießen und Gefahren überlebt hatte? Was bewegte ihren Bruder wohl, das er in der Gesellschaft nicht zu erzählen wagte?
Es konnte wohl kaum Lady Harts unverhohlenes Interesse an ihm sein, das diesen neuen Aufruhr provozierte. So viel wusste Elizabeth, schließlich war die fragliche Lady schon seit Wochen völlig unverfroren auf der Jagd nach Luke. Es war schließlich kein Skandal, wenn jemand mit ihrem attraktiven Bruder flirtete. Die Frauen machten derlei häufig.
»Entschuldigt mich.« Ihr Lächeln war flüchtig, als sie sich von der Gruppe Frauen löste. Die jungen Ladys waren eher gute Bekannte als Vertraute. »Ich habe Seiner Lordschaft einen Tanz versprochen.«
Das war eine recht vage Behauptung, die auf so ziemlich jeden Mann im Ballsaal zutreffen konnte. Elizabeth stellte ihr Glas auf dem Tablett eines vorbeigehenden Lakaien ab und blickte sich suchend um, während sie die Fläche mit den Tänzern umrundete. Da. Sie erhaschte einen Blick auf das vertraute Profil. Das Ziel ihrer Jagd stand mit einer jungen Frau beisammen, die sie als die Tochter eines einflussreichen Lords im Parlament erkannte. Vielleicht war das der Grund, warum Miles sie nicht über die Tanzfläche wirbelte.
Die Musik verstummte, und als der höfliche Austausch begann und man die Tanzfläche verließ, machte Miles Elizabeth aus, die in der Nähe stand und auf ihn wartete. Er hob stumm fragend die Brauen. Sie wartete, bis er sich über die Hand der – ihrer Meinung nach einfältigen – jungen Frau gebeugt hatte, ehe er sich an der offenen Terrassentür zu ihr gesellte. »Was ist los?«, fragte er ohne Umschweife. Er zupfte an den Manschetten seiner Hemdsärmel herum. Eine Angewohnheit, die sie störte, weshalb er es wohl machte, sobald sie zusammenkamen. Er hatte ihr seit frühester Kindheit immer Kontra gegeben.
»Bevor du mir sagst, warum du hier herumlungerst und mich mit diesem stechenden Blick, den ich nur allzu gut kenne, geradezu aufspießt, darf ich vielleicht noch vorbringen, wie viel besser dir dieses rosenfarbene Kleid steht verglichen mit dem faden, rosafarbenen Kleid, das du gestern Abend getragen hast. Du sahst darin leichenblass aus, und es wirkte an dir, als wärst du erst zwölf Jahre alt.«
Sie warf ihrem Cousin einen vernichtenden Blick zu. »Das ist aber ein hübsches Kompliment, noch dazu in so schöne Worte gekleidet! Ich könnte vor Dankbarkeit geradezu vergehen!«
Miles war wie immer unbeeindruckt vom Sarkasmus, der in ihrer Stimme mitschwang. »Wenigstens habe ich nicht behauptet, du wärst noch so flachbrüstig wie eine Zwölfjährige. Und diese gelegentlichen, unschönen Flecken gehören wohl auch der Vergangenheit an. Eine porzellanhelle Haut ist im Moment doch recht modern. Mein Kompliment.«
Zuckersüß erwiderte sie: »Wenn wir schon so großzügig sind, möchte ich dich für deinen Haarschnitt loben. Du trägst das Haar zwar etwas länger, aber so täuschst du perfekt über deine große Nase hinweg. Vielleicht wächst du ja doch noch hinein. Ich warte verzweifelt darauf, diesen Tag noch zu erleben.«
»Meine Nase ist nicht zu groß.« Er besaß tatsächlich die Frechheit, sie verletzt anzusehen. Grad so, als hätte nicht er diesen Streit angefangen.
»Meine Brust ist nicht flach.«
»Habe ich denn nicht genau das gerade gesagt?«
»Du solltest eigentlich nicht darauf gucken.«
»Männer tun das nun mal, sobald sie ein gewisses Alter erreicht haben.« Er grinste bloß und zeigte keine Reue. »Ich muss mich auch inzwischen ziemlich oft rasieren, weißt du.«
Wann ist er nur so groß geworden? fragte sie sich. Er irritierte sie, weil sie ihm inzwischen gerade noch bis ans Kinn reichte. Früher hatte es eine Zeit gegeben, als sie ihm auf Augenhöhe begegnet war. Aber jetzt
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