Ein gefährlicher Gentleman
Mondlicht, das sich über das Bett ergoss, setzte Luke sich auf. Er zitterte, als die Bettdecke von seinem Oberkörper herunterrutschte, obwohl Hochsommer herrschte und die Luft selbst in den Nachtstunden warm, fast stickig war. Er schluckte. Seine Kehle war staubtrocken. Benommen stieg er aus dem Bett.
»Verflucht«, murmelte er. »Wann wird das endlich aufhören?«
Nackt trat er ans Fenster und öffnete es, um wenigstens den Hauch einer frischen Brise zu erhaschen. Seine Hände auf die Fensterbank gestützt, sog er tief die Luft in seine Lungen. Er blickte nach draußen, doch er sah nicht die akkuraten Wege und gepflegten Blumenbeete des Gartens, der hinter dem Haus in nächtliche Schatten getaucht war, sondern einen zerklüfteten Abhang, der fest im Griff des spanischen Winters war. Die Ruine eines Klosters hob sich von dem grellen Himmel ab, und die Flammen leckten an den Mauern. Ohne Gnade verschlangen sie die alte Abtei …
In seinen Albträumen hörte er die Schreie. In Wahrheit war diese höllische Nacht aber völlig ruhig gewesen, wenn man vom teuflischen Flackern des Feuers mal absah.
Sie hat an jenem Tag so wunderschön ausgesehen in der Mantille ihrer Mutter. Ihr dunkles Haar schimmerte, als sie sich vor den Altar kniete und ihre Hand in seine legte. Die Kerzen flackerten leicht im Luftzug. Er erinnerte sich kaum mehr an die Zeremonie, er wiederholte einfach die Worte des Geistlichen. Dann war es schon vorbei.
Sie war seine Frau.
Wie schrecklich, dass er am selben Tag noch erkennen musste, dass nur Narren sich mitten im Krieg verlieben.
Sein Gesicht war nass. Das ist der Schweiß. Keine Tränen , redete er sich ein. Er trat an den Waschtisch, tauchte ein Tuch in die Schüssel mit lauwarmem Wasser und wischte sich die klebrige Haut ab. Dann kleidete er sich rasch an. Er wusste aus Erfahrung, dass es ihm nicht gelingen würde, jetzt wieder in den Schlaf zu finden. Hastig knöpfte er die Hose zu, warf sich ein Hemd über, das er wahllos griff, schlüpfte in die Stiefel … einen Mantel brauchte er nicht, dafür war es zu warm. Seine Finger fuhren ein letztes Mal durch sein Haar, dann stieg er die Treppe seines Anwesens in Mayfair im Dunkeln herunter. Er kannte den Weg so gut, dass er keine andere Lichtquelle als den Mond brauchte, der sein Licht durch die hohen Fenster des Korridors warf, den er mit raschen Schritten entlangging.
Der Weg zur St. James Street war in Dunkelheit getaucht, und seine eiligen Schritte hallten von den Häuserwänden wider. Er ging schneller und versuchte, die Bilder seines Traums durch körperliche Ertüchtigung zu vertreiben. Er eilte die Stufen des eleganten Stadthauses hinauf und ließ sich mithilfe seines Schlüssels ein. Er betrat eine Eingangshalle, in der ein Hauch Maiglöckchenparfüm hing. Früher – eine Zeit, die ihm jetzt ferner schien, als sie tatsächlich war – hatte er dieses Haus gekauft, um darin zu wohnen. Als sein Vater jedoch starb und Luke sein Erbe antrat, hatte er sich in Spanien befunden. Nach seiner Rückkehr war er, wenngleich widerstrebend, in die Apartments gezogen, die dem Viscount in dem ausgedehnten Familienhaus zur Verfügung standen. Er hatte sich dazu verpflichtet gefühlt.
In dem Korridor brannte auch zu dieser späten Stunde noch eine Lampe. Das überraschte ihn nicht. Regina war zu den merkwürdigsten Zeiten auf. Er hatte sich eigentlich darauf verlassen, sie wach vorzufinden, denn sie hielt auch stets eine Karaffe mit seinem liebsten Whisky für ihn bereit, falls er vorbeikam. Auch darauf verließ er sich.
Sie war in der Bibliothek. Im Morgenmantel saß sie mit gerunzelter Stirn über einigen Zeichnungen, die sie vor sich auf dem Fußboden ausgebreitet hatte. Ihr langes Haar hing wie ein Vorhang vor ihrem Gesicht, bis sie bei seinem Eintreten aufblickte. Die hohen Bücherregale waren mit Tüchern verhüllt und die anderen Möbelstücke beiseitegerückt, damit sie mehr Platz hatte, um ihre Arbeiten auszubreiten. »Ich habe mir schon gedacht, dass du das bist. Ich habe jemanden an der Tür gehört. Wie spät ist es?«
»Spät.« Luke lächelte ironisch. »Oder früh, je nachdem, wie man’s nimmt.« Ihre Sorglosigkeit, wenn jemand ihr Haus betrat, war typisch für sie. Zum Glück hatte sie einen fähigen Hausdiener, der sich um die weltlichen Dinge kümmerte. Dazu gehörte wohl auch, nachts die Türen abzuschließen.
»Mir ist die Uhrzeit ziemlich egal.« Regina erhob sich anmutig vom Boden und strich über ihren indigoblauen
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