Ein gefährlicher Gentleman
Kleid zu tragen, das nicht mit Spitze ihr Dekolleté verhüllte. Aber zugleich genoss er den Tagtraum, den der zarte Stoff ihm verschaffte und in dem er sich in ein skandalöses Abenteuer stürzte.
Ihrem Tischnachbarn war ihr Auftreten ebenso wenig entgangen. Der unverschämte junge Mann schielte abwechselnd in ihr Dekolleté und beugte sich zu ihr herüber, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern. Es war Luke im Grunde egal, mit wem sie ein bisschen flirtete. Aber sie konnte bestimmt einen besseren finden als diesen jungen Flegel.
Der ganze Abend machte ihn verdrießlich. Wenn er nicht Elizabeth einen Gefallen tun wollte, wäre er sicher nicht mitgekommen.
»In letzter Zeit hatten wir herrliches Wetter, findet Ihr nicht auch, Lord Altea?«
Es gelang ihm, seine Aufmerksamkeit lange genug vom Weinglas loszureißen, um der pummeligen Matrone, die neben ihm platziert worden war, einen höflichen Blick zuzuwerfen. »Ja«, sagte er abwesend. »Wirklich schön.«
Du lieber Himmel, hatte er wirklich gerade etwas so Sinnloses von sich gegeben?
Lady Bunton oder Button oder wie auch immer ihr verfluchter Name lautete – man hatte sie ihm natürlich vorgestellt, aber er konnte sich nicht erinnern – beugte sich verschwörerisch zu ihm herüber. »Das war ungeheuer mutig von Euch, Lord Fitch zu retten. Ich habe gehört, Ihr habt ihn mit nur einer Hand aus einer Horde Straßenräuber gerissen.«
Er verschluckte sich beinahe an seinem Wein.
Diese lächerliche Version der Geschichte war wirklich allerhand! Zum Glück schien sich der ehrlose Fitch tatsächlich nicht zu erinnern, was passiert war. Und dank Michael hatte Madeline jetzt auch das Tagebuch wieder. Für sie war alles wieder in Ordnung. Er riskierte noch einen raschen Blick auf die andere Tischseite, bemerkte, dass sie in seine Richtung schaute, und widmete seine Aufmerksamkeit rasch wieder seiner Tischnachbarin. »Ich fürchte, das ist eine Übertreibung, Madam. Ich habe ihn nur bewusstlos in dieser Gasse gefunden und habe ihn nach Hause gebracht. Das erforderte keinen Mut.«
Sie strahlte ihn an. »Ach, Ihr seid so bescheiden!«
Himmel! Er winkte einem Diener, damit dieser sein Weinglas auffüllte. Zu seiner Erleichterung wurde der Nachtisch serviert, und die Lady wurde von dem Schokoladenpudding mit Glasur abgelenkt.
Als ihr Gastgeber verkündete, es sei an der Zeit, sich in den Salon zurückzuziehen und eine Runde Scharade zu spielen, wusste Luke, dass er diese fade Veranstaltung nicht einen Moment länger ertragen konnte. Als man langsam das Speisezimmer verließ, zog er Miles beiseite und trat mit ihm in eine Ecke neben der von einem Ziergiebel gekrönten Tür. »Wärst du so gut, meine Mutter und Elizabeth später nach Hause zu begleiten?«
»Ich nehme an, der Gedanke, Lady Helton dabei zuzusehen, wie sie Teile von Macbeth zum Besten gibt, übt auf dich keinen Reiz aus?« Miles schmunzelte, aber dann verzog er das Gesicht. »Das war natürlich eine rhetorische Frage. Auf mich übrigens auch nicht, wenn du die Wahrheit wissen willst. Aber ich werde die Ladys gerne nach Hause bringen.« Dann fragte sein Stiefcousin sehr vorsichtig und lässig: »Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«
»Es ist nichts.« Eine Lüge, aber Luke wollte sich nicht erklären. »Ich brauche einfach eine Pause von diesen gesellschaftlichen Veranstaltungen. Wenn ich bleibe, könnte es sein, dass ich mit der Faust durch eine Wand schlage. Ziemlich üble Angewohnheit, die man besser nicht in Gesellschaft zeigt.«
»Du hast in letzter Zeit auf mich etwas düster gewirkt.« Miles’ Blick war nicht direkt fragend, aber Luke spürte die Frage, die in seinen Worten mitschwang.
»Langeweile«, erwiderte Luke knapp.
»Ich verstehe.« Sein Cousin zögerte. Dann verkündete er unverblümt: »Ach verflucht! Ich habe mich geweigert, mich einzumischen, und ich will auch jetzt nicht herumschnüffeln, aber du solltest einfach wissen, dass Elizabeth sich Sorgen um dich macht. Um die Wahrheit zu sagen, selbst ich habe mich gefragt, was dich wohl beunruhigt.«
Er hatte Miles immer gemocht. Schon als Kinder waren er und Elizabeth überall herumgetollt und hatten auf dem Anwesen gewütet. Luke hatte Miles für einen im Grunde vernünftigen Jungen gehalten, der den perfekten Gegenpol zu seiner impulsiven jüngeren Schwester bildete. Mit 22 Jahren baute sich Miles gerade seine Existenz auf. Sein hieb- und stichfestes Konzept lockte Investoren an. Auch Luke steckte sein Geld in die Unternehmung, und er
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