Ein gefährlicher Gentleman
bezweifelte nicht, dass sein Stiefcousin clever genug war, um Erfolg zu haben.
Aber er war einfach nicht in der Stimmung, sich irgendwem anzuvertrauen. Auch nicht Miles, obwohl er ihn sehr mochte und ihm vertraute. »Das geht wieder vorbei«, murmelte er nachlässig. »Sag ihr einfach, sie soll sich lieber um ihr eigenes Leben kümmern. Mich freut es zu sehen, wie sehr sie die Saison genießt, aber sie sollte irgendwann unter ihren zahlreichen Verehrern einen Mann aussuchen. Ich habe bisher kein Anzeichen entdeckt, dass sie sich für einen der eifrigen Gentlemen besonders erwärmen konnte.«
Etwas huschte über Miles’ Gesicht. Es blitzte nur kurz auf, danach hatte er sich sofort wieder im Griff. Aber Luke sah den harten Zug um den Mund, den zuckenden Muskel an seinem Kiefer. Er antwortete vorsichtig: »Da sich viele Verehrer für sie interessieren, bin ich sicher, das wird sie tun. Aber wenn ich ihr das sage, dann wird sie genau das Gegenteil tun. Das solltest du bedenken.«
Luke kämpfte zwar gegen seine eigenen Dämonen, aber er hatte schon vor einiger Zeit begonnen, sich über Miles und Elizabeth zu wundern. Soweit er es sehen konnte, war sie sich einfach nicht der Tatsache bewusst, dass ihr Cousin – der gar nicht ihr Cousin war, wenn man davon absah, dass seine Mutter in die Familie eingeheiratet hatte – nicht mehr der ungestüme Gefährte aus Kindertagen war. Er war inzwischen ein erwachsener Mann, der sie nicht mehr mit platonischem Gleichmut betrachtete. Schließlich war auch sie nicht mehr der freche Wildfang von einst.
Da Luke die Aufgabe hatte, Elizabeth zu beschützen, konnte er diese Tatsachen nicht ignorieren. Es war nicht so, dass er Miles oder Elizabeth nicht vertraute. Aber die beiden hatten zusammen schon so manches ausgeheckt.
Er müsste der Angelegenheit wohl etwas mehr Aufmerksamkeit widmen.
Aber nicht heute Abend. Seine Mutter war schließlich dabei. Sie konnte die Anstandsdame spielen. Aber er musste jetzt schleunigst verschwinden. Fort von diesem Schauspiel und den Scharaden, fort von den Matronen mit ihren überspannten Erwartungen und einer falschen Vorstellung von seinen Heldentaten. Fort von dieser Verlockung …
Fort von Madeline.
»Du könntest recht damit haben. Ich werde selbst mit Elizabeth darüber reden.« Sein Lächeln war ironisch. »Aber wenn du mich jetzt entschuldigst, werde ich mich von unserem Gastgeber verabschieden und mich dann vom Acker machen. Danke.«
Wenige Augenblicke später verließ er beinahe fluchtartig das Haus. Er stieg die Stufen herunter und spürte die warme Abendluft. Er war dankbar, dass er den zweifelhaften schauspielerischen Talenten der versammelten Gästeschar entkommen war. Er beschloss, zu Fuß zu gehen, weil der Abend so herrlich war. Doch er hatte gerade erst die Straße erreicht, als hinter ihm ein atemloser Ruf erscholl.
»Luke! Bitte wartet!«
Madeline. Verflucht. Er kannte ihre sanfte, melodiöse Stimme nur zu gut.
Er blieb stehen und unterdrückte einen unanständigeren Fluch, ehe er sich umdrehte. Er hatte gehofft, den Abend hinter sich zu bringen, ohne mit ihr reden zu müssen. Es war bisher recht einfach gewesen, da Morrow ständig an ihr klebte und sie mit Beschlag belegte. Nur deshalb war es ihm gelungen.
Bis jetzt.
Ihre Schönheit rührte ihn auf eine einzigartige Art. So war es schon gewesen, als er sie das erste Mal erblickt hatte, und daran hatte sich seitdem nichts geändert. Es waren weniger ihr Gesicht und ihre Gestalt, die diesen Zauber zu weben vermochten, obwohl beide höchst begehrenswert waren. Nein, es war dieses sinnliche Einfühlungsvermögen, das sie ausstrahlte. Sie war sehr weiblich, und ihre strahlend dunklen Augen, die ihrem Aussehen eine einzigartige, bestrickende Anmut verliehen. Ihm war, als könnten diese herrlichen Augen bis auf den Grund seiner Seele blicken.
Sie kam die Stufen herunter. Die seidigen Röcke hielt sie in den Händen und hob sie leicht an. In dem spärlichen Licht, das vom sternenübersäten Himmel ausging, war es schwierig, ihre Miene zu deuten. »Ihr seid mir den ganzen Abend ausgewichen.«
Der Vorwurf, der in ihrer Stimme mitschwang, half nicht, seine ruhelose Stimmung zu befrieden. »Wenn Euch das aufgefallen ist, darf ich vielleicht erfahren, warum Ihr mir nachgejagt seid, als ich ging?«
Sie verzog das Gesicht. Doch dann straffte sie die Schultern. »Behandelt mich nicht so herablassend, Altea. Ich bin sicher, Ihr wisst, wie gerne ich Euch danken will, dass Ihr mir Colins
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